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Silvester in der Bayerischen Staatsoper

Dezember 31, 2013

Zwei Debütanten und ein alter Hase auf der La Traviata Bühne. Die beiden ersteren hätten eine oder mehr Orchesterproben wohl verdient gehabt und dem alten Hasen hätten sie nicht geschadet. So bleibt ein schaler Nachgeschmack nach einer mit Vorschusslorbeeren bedachten Silvestervorstellung von La Traviata, die in diesem Jahr erstmals an die Stelle der althergebrachten Fledermaus trat und auf die ich mich, ehrlich, freute.

Erstmal donnerte das festlich gestimmte Publikum einen Applaus vor das „Sempre Libera“ in Violettas Szene im ersten Akt, was die Sängerin nicht beflügelte sondern vermutlich eher irritierte, mit Auswirkungen auf den Sempre Libera Teil, die ich besser nicht vertiefe. Ailyn Pérez‘ Pianokultur und das wirklich schöne Timbre ließ auf einen guten weiteren Verlauf hoffen. Ivan Magri, ebenfalls Debütant an der Bayerischen Staatsoper und eingesprungen für Castronovo, machte seine Sache ordentlich, könnte vielleicht bis zur nächsten Vorstellung am 3. Januar verinnerlichen, daß in München Tenöre in der Regel nicht ans Kreuz genagelt werden, noch nicht mal die Alfredos, seine Arme dürfen also durchaus auch mal hängen.

Die Wahl der Tempi war offenbar zur Feier des Tages freigegeben, wovon die beiden Debütanten reichlich Gebrauch machten. Paolo Carignani, absolut kein Verdi-Newbie, mühte sich redlich, biß sich allerdings an Père Germont Thomas Hampson fast die Zähne aus. Letztlich obsiegte der Dirigent und Thomas Hampson war dann doch gut als Germont.

Daß das dankbare Publikum nach Violettas „È strano“ heftig applaudierte, war zu erwarten. War auch wirklich schön gesungen und wie jeder weiß, stirbt sie am Ende ja auch nicht in echt.

Bleibt als Fazit des Silvesterabend-Auftakts: Das Beste war der Chor. Ansonsten gab es heute nicht mehr als eine ordentliche Repertoirevorstellung, keine Rechtfertigung erhöhter Preise.
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Mein „Best of 2013“

Dezember 26, 2013

Viel habe ich gesehen und gehört im zu Ende gehenden Jahr, nur selten habe ich aus den unterschiedlichsten Gründen darüber geschrieben. Deshalb gibt es in diesem Jahr ein „Best of“ und das auch etwas weiter gefasst als üblich. Die folgende Übersicht enthält Abende, die mich in ihrer Gesamtheit uneingeschränkt oder zumindest überwiegend beeindruckt haben. Ich beschränke mich dabei nicht nur auf Opernbesuche – es findet sich sogar eine Sprechtheater-Aufführung in meiner Liste.
Um künstlerische Einzelleistungen zu würdigen, die mich im vergangenen Jahr begeistert haben, wird eine weitere Aufstellung „Best of 2013“ erforderlich sein. Daß es sich dabei überwiegend um Sänger handeln wird, versteht sich von selbst.

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Bayerische Staatsoper: La forza del destino

Dezember 23, 2013

Für die Darstellung von Krieg, Nachkriegswehen, Zerstörungsszenarien braucht Martin Kušej nicht viel; vor allem braucht er immer dasselbe. Einen Bewegungschor, Jucken und Kratzen, Blut, ein paar hektische Statisten. So weit so gut, das hatten wir doch schon öfter. Plastikflaschen kamen hinzu, aus denen ausschweifend getrunken wurde. Auch das hatten wir schon. Meine Befürchtung, es würde in wildem Bühnenbieseln enden, bewahrheitete sich indes nicht.

Es wurde kolportiert, daß Kušej die Geschichte als eine Art Rückschau Leonoras interpretiert sehen wollte, was er anhand der sorgfältigen Bebilderung der langen Ouvertüre einleitete. Dort sitzt eine verstört anmutende Leonora im Kreise der Familie beim Abendbrot am Riesentisch und stochert in ihrem Teller. Der Hausgeistliche sitzt am Tisch, die bewaffneten Leibwächter stehen – so ist das bei Familie Mafia. Ein „Mulatte“ wie Alvaro hätte da nicht hin gepasst, die Sippe musste „rein“ bleiben. Wäre nicht der Padrone durch einen unglücklichen Unfall ums Leben gekommen, hätte Leonoras Bruder Carlo kein Rachemotiv gehabt, wäre man Leonores Geliebten Alvaro eben auf andere Weise losgeworden.

Den Ansatz der Rückschau finde ich ganz interessant, durchgezogen wird er allerdings nicht, zumindest nicht augenfällig. Einzige Konstante ist ein Esstisch, auf dem oder unter dem sich die zentralen Momente der Oper abspielen. Und möglicherweise die Assoziation des Padre Giordano mit Leonoras Vater Calatrava. Als der am Ende erscheint, ist Leonora allerdings schon tot. Wenig schlüssig also aus meiner Sicht.

Ein ähnlich biederes Bühnen-Idyll wie das Cavatra-Zimmer aus dem ersten Akt wiederholt sich im zweiten Akt als Leonora in Verkleidung Aufnahme bei Padre Giordano sucht nachdem sie und Alvaro sich auf der Flucht vor Carlos Verfolgung verloren hatten. Eine Atmosphäre wie in einem evangelischen Gemeindehaus oder einem katholischen Refektorium. Gummibaum. Resopal-Faltwand. Der Tisch davor. Ganz so harmlos ist die Sache aber nicht. Nach ihrer Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft wird Leonora erst einmal bis zur Bewußtlosigkeit „getauft“. Meine Interpretation: Leonora kann nicht anders, sie begibt sich von einer Abhängigkeit oder Fessel in die andere.

Alvaro und Carlo sind unter fremdem Namen in eine Armee eingetreten. Sie wissen nicht voneinander. Bis sie sich treffen. Auf dem Tisch versteht sich. Der Kriegschauplatz hat Ähnlichkeit mit dem WTC, ein Querschnitt des zerstörten Gebäudes bildet die hintere Bühnenbegrenzung, Aktionen erinnern an Abu Ghraib. Es wird ein religiös motivierter Krieg suggeriert.

Auf dem allgegenwärtigen Esstisch beschwört Leonora zu Beginn das Kreuz, auf ihm besiegeln Don Carlo und der verwundete Alvaro nun ewige Soldatenfreundschaft, auf ihm schwört Carlo Rache als er Alvaros wahre Identität entdeckt, auf dem Tisch kopulieren Soldatenhorden und darauf ersticht Alvaro Don Carlo, der im letzten Atemzug seine Schwester Leonora ermordet. Eine Ehrensache.

Interessant fand ich, wie unterschiedlich Leonora und Alvaro sich in ihr vermeintliches Schicksal ergeben. Beide suchen Zuflucht im Glauben. Während Alvaro gehen lässt, seine Identität aufzugeben scheint, lebt Leonora in der Eremitage selbstbestimmter und selbstbewusster, wie mir scheint.

Auch wenn die Ironie meiner Beschreibung der Szene einen negativen Eindruck erweckt – dies war kein schlechter Premieren-Abend. Im Gegenteil. Die schauspielerischen und die Gesangsleistungen der Solisten und des Chores waren phänomenal gut und machten die auffallenden szenischen „Unausgewogenheiten“ bei weitem wett.

Ein Wort noch zum Orchester und der musikalischen Leitung ehe ich mich vollständig der Schwelgerei über die Gesangsleistungen hingebe. Sie haben alles richtig gemacht und dennoch bleibt ein bitterer Geschmack wie der einer verpassten Gelegenheit. Ein Dirigat ohne Emphase und ohne Empathie führt nunmal zu Längen, die nur dank der Sänger nicht zum Gähnen verleiteten.

Es war ein guter Einfall, Vitalij Kowaljow sowohl den Marchese von Calatrava wie auch Padre Giordano singen zu lassen. So konnte er die Ausdruckskraft seiner Basstimme zur Geltung bringen, von der Eiseskälte des Marchese bis zur menschenfreundlichen, friedvollen Wärme des Pater Giordano.

Jonas Kaufmann, mal wieder im immer gleichen Outfit und diesmal merkwürdiger Frisur, warf sich voll in die Rolle des Außenseiters, spielte glaubhaft Draufgänger und Mönch. Gesanglich überzeugte er total, vielleicht manchmal mit etwas zu viel Kraft zu viel wollend bei diesem Rollendebüt, dennoch differenziert gestaltend. Der beste Verdi, den ich von ihm bisher hörte und es kann ja auch noch besser werden in den Folgevorstellungen, obwohl da so viel Raum zum besserwerden nicht mehr ist. Darstellerisch wird er ohnehin jeder bisher gesehenen Rolle gerecht.

Ich weiß, daß Ludovic Tézier Verdi singen kann, konnte ihn letztes Jahr bei den Festspielen als Posa erleben. Daß er hier in der Rolle als Don Carlo buchstäblich Furore machen würde, hatte ich so nicht auf dem Schirm. Identifikation mit der Rolle, das vollständige Zueigenmachen des Charakters, gepaart mit präzisem Spiel und stimmlicher Präsenz, zahlten sich aus und bescherten Ludovic Tézier einen Triumph.

In welcher Rolle macht Anja Harteros nicht Furore? Nun hat sie als Leonora debütiert und ich glaube, die Figur wird sie eine gute Weile begleiten. Die mädchenhafte, von der Regie fast prüde gezeichnete, Leonora des Beginns verkörpert sie ebenso selbstverständlich und sinnhaft wie die leidenschaftliche Gefährtin Alvaros oder die mutige Leonora, die den Zutritt zum Kloster erzwingt. Singt Anja Harteros, dann blüht es auf der Bühne des Nationaltheaters, die Herzen gehen auf. So einfach ist das.

Fra Melitone möchte ich hervorheben, den Renato Girolami derb und witzig verkörperte. Nadia Krasteva als Preziosilla war nicht in bester Verfassung, vielleicht wegen einer vorhergehenden Erkrankung. Ansagen ließ sie sich allerdings nicht. „Rataplan“ hat sie vermurkst.

Unglaublicher Jubel für die Sänger, in der Stärke auch sehr differenziert. Deutliche Buhs für die Regie, keineswegs vom konservativen Teil der Besucher, wie gelegentlich heute zu lesen ist. Leisere Buhs für das Dirigat.

La forza del destino
Bayerische Staatsoper
Premiere am 22. Dez. 2013

Besetzung

Musikalische Leitung Asher Fisch
Inszenierung Martin Kušej
Bühne Martin Zehetgruber
Kostüme Heidi Hackl
Licht Reinhard Traub
Chöre Sören Eckhoff

Il Marchese di Calatrava / Padre Guardiano Vitalij Kowaljow
Donna Leonora Anja Harteros
Don Carlo di Vargas Ludovic Tézier
Don Alvaro Jonas Kaufmann
Preziosilla Nadia Krasteva
Fra Melitone Renato Girolami
Curra Heike Grötzinger
Un alcade Christian Rieger
Mastro Trabuco Francesco Petrozzi
Un chirurgo Rafał Pawnuk

Festspiele 2013 – Tannhäuser

Juli 1, 2013

Mit Richard Wagners Tannhäuser griff nun auch der Generalmusikdirektor in das Münchener Festspielgeschehen ein. Kent Naganos Tannhäuser Interpretation, auch ein Werk, das er erstmals in München und zwar ziemlich spät dirigierte, entwickelte sich mit jeder Wiederaufnahme. Nicht immer gelangen die drei Akte musikalisch gleich stark und vor allem die aktübergreifende musikalische Spannung konnte nicht immer durchgehalten werden. Die Vorstellung am 29. Juni hingegen schien nicht nur Naganos Klangvorstellungen zu verwirklichen, sondern der Orchesterklang war auch für das Publikum, für mich jedenfalls, ein faszinierendes Erlebnis. Hier war vieles zu geniessen, vom transparenten Sound der Instrumentengruppen bis zu wellenhaft sich auftürmenden Klanggebilden im letzten Akt, zwischen rauschhafter Lautstärke und sorgfältigster Sängerbegleitung.

Daniela Sindram, als Venus eingesprungen für die erkrankte Petra Lang, war mehr als nur ein Notbehelf. Das war eine starke Demonstration ihres farbenreichen Mezzosoprans und ihrer glänzenden Gesangstechnik. Etwas mehr Sexappeal ließ vermutlich die Korsage der ursprünglichen „Amtsinhaberin“ nicht zu, die bisher noch jede Nachfolge-Venus nicht so gut aussehen gelassen hatte und wahrscheinlich auch nicht allzu üppige Proben. Besonders freute ich mich auf Anne Schwanewilms‘ Elisabeth. Während die Hallenarie etwas zu zurückhaltend angelegt war, mochte ich sehr ihre innige Interpretation im letzten Akt mit lyrischer Tongebung und klarer Artikulation. Wolfram von Eschenbach wurde von Matthias Goerne verkörpert, der den Abendstern betörend schön sang. Da es sich bei der Tannhäuser Produktion ohnehin nur noch um ein Werk „NACH einer Inszenierung von David Alden“ handelt, kann man über seine offenbare Regieresistenz getrost hinwegsehen. Einen sonoren Eindruck hinterliess Christof Fischesser als Landgraf. Robert Dean Smith gehört zu den von mir meistgeschätzten Wagnersängern. Ich bewundere, wie er trotz einer bereits langen Karriere in diesem Fach, noch immer „singt“ und nicht deklamiert. Er teilt sich die Riesenrolle auch nicht hörbar ein, um am Ende noch Kraft für die Romerzählung zu haben. Seine frappierende Diktion habe ich hier schon oft erwähnt. Gesangstechnik, Diktion, Zuverlässigkeit, Ausdruck – Eigenschaften, die mich am Ende eines Abends mit RDS nicht enttäuscht nach Hause gehen lassen.

Wolframs Mitstreiter im Sängerwettbewerb waren zuverlässig und kompetent aus dem Münchner Ensemble besetzt. Ein nicht namentlich genannter Tölzer Sängerknabe sang einen bezaubernden Hirt, völlig makellos. Ein echtes Talent. Auch im Tannhäuser war wieder der ausgezeichnet vorbereitete Chor der Bayerischen Staatsoper im Einsatz.

Ein sehr gelungener Festspielabend.

Münchner Opernfestspiele 2013
Samstag, 29. Juni 2013

Nationaltheater

Besetzung
Musikalische Leitung Kent Nagano
Nach einer Inszenierung von David Alden
Bühne Roni Toren
Kostüme Buki Shiff
Choreographie Vivienne Newport
Licht Pat Collins
Chor Sören Eckhoff

Hermann Christof Fischesser
Tannhäuser Robert Dean Smith
Wolfram von Eschenbach Matthias Goerne
Walther von der Vogelweide Ulrich Reß
Biterolf Goran Jurić
Heinrich der Schreiber Kenneth Roberson
Reinmar von Zweter Levente Páll
Elisabeth Anne Schwanewilms
Venus Daniela Sindram
Ein junger Hirt / Vier Edelknaben Tölzer Knabenchor

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

Festspiele 2013 – Il Trovatore

Juni 30, 2013

Eine Zigeunerin wird verbrannt, weil sie einen Sohn des Grafen verflucht hatte. Um sie zu rächen, raubt ihre Tochter Azucena den zweiten Sohn des Grafen, verbrennt allerdings aus Versehen nicht ihn sondern den eigenen Sohn. Die Zigeunerin behält das geraubte Kind und gibt ihn als ihren Sohn Manrico aus. Manrico macht der Hofdame Leonora den Hof, gerät dabei dem Grafen Luna in die Quere. Azucena eröffnet Manrico das Geheimnis seiner Herkunft. Intrigen und der Kampf um das Objekt der Begierde führt zu allerhand kriegerischen Auseinandersetzungen, an deren Ende Leonora den Eintritt in ein Kloster beschließt, weil sie Manrico tot glaubt. Sowohl Manrico als auch der Widersacher Graf Luna wollen Leonora aus dem Kloster entführen. Manrico verhindert Graf Lunas Zugriff. Dieser rächt sich wiederum um nimmt Azucena gefangen; Manrico unterliegt im Kampf um ihre Befreiung und soll nun zusammen mit Azucena hingerichtet werden. Leonore könnte beide retten, wenn sie bereit wäre, sich Graf Luna hinzugeben. Sie befreit Manrico, nimmt aber Gift, um Luna nicht folgen zu müssen. Der Verwirrung nicht genug, glaubt Manrico nun Leonore sei ihm nicht treu und habe ihn verraten. Manrico erkennt erst im letzten Moment Leonoras Grösse und wird hingerichtet. Ehe es für Azucena so weit ist sagt sie Luna, daß Manrico sein Bruder war.

Das ist mein Versuch, die verworrene Geschichte mit wenigen Worten zusammenzufassen. Ich bin sicher, ich habe etliches durcheinander gebracht oder ausgelassen. Um Vollständigkeit oder Präzision geht es letztlich bei einer Opernproduktion aber gar nicht, sondern um – worum eigentlich? Das Thema muß erst mal warten.

Die schwarz-grau-weisse, mit roten Nabelschnüren verbrähmte Bühneninstallation befindet sich auf einer Drehbühne und eröffnet die jeweils erforderlichen szenischen Räume, beginnend mit einer Art Wandertheater, in dem Ferrando die Geschichte des Verbrennung der alten Zigeunerin und des Kindesraubes zum besten gibt. Die Bühne, ausgestattet mit großen, sich drehenden Eisenrädern (Schicksalsrädern) sowie einer Lokomotive, die (wie das Publikum) im zweiten Akt mit dem Vorschlaghammer traktiert wird, erinnert mich an ein Industriemuseum, hat für mich eine gewisse Ästhetik. Weniger freundliche Besucher fanden die Bühne „zugemüllt“; auch diesen Einwand kann man nicht von der Hand weisen. Auf jeden Fall zwingt die volle Bühne die Sänger an die Rampe, was dem Stimmfetischisten entgegenkommt.

Pys zentrales Thema war offenbar die Vorgeschichte, Azucenas Verlust des Kindes und der Mutter. Die alte Mutter, eine verhärmte nackte Gestalt geistert durch den Abend, eine Untote, ein Geist, der nicht zur Ruhe kommt. Das getötete Kind erscheint als blutige Puppe, gelegentlich vervielfacht, ein nicht endender Alptraum. Niemand wird sich wundern, daß Azucena dem Alkohol verfallen ist. Es ist Azucenas Drama. Das restliche Personal interessiert Py weniger. Leonora ist irgendwann blind (warum eigentlich). Die Beziehung Manrico-Leonore erscheint szenisch nicht so zwingend, daß die Arme sich am Ende das Leben nehmen müsste. Möglicherweise ergibt sich eine andere Erkenntnis bei einem weiteren Besuch, von denen noch einige vor mir liegen. Es gibt nämlich noch eine Anzahl weiterer Figuren, die Py in die Szenerie eingefügt hat, Tänzer beispielweise und Statisten, welche die Kämpfe zwischen Manrico und Luna pantomimisch darstellen. Langweilig waren die zweieinhalb Stunden reine Spielzeit jedenfalls nicht, eher etwas überladen um alles gleichzeitig sehen, erfassen und verstehen zu können.

Vom ersten Moment an war dafür klar, was man an diesem Abend zu hören kriegen würde. Kwangchoul Youn, Gurnemanz vom Dienst, eröffnete den Abend als luxuriöser Ferrando und lieferte gleich mal die erste Probe dafür ab, daß Wagner und Verdi sich keinesfalls ausschließen, eine Erfahrung, die mehrfach an diesem Abend zu machen war. Alexey Markov erschien mir persönlich als etwas „leicht“ als Conte di Luna, lieferte aber eine makellose Leistung. Das gilt auch für Elena Manistinas fabelhaft gesungene Azucena, die besonders litt unter der szenischen Vernachlässigung. Ein gelegentlicher Griff zur Flasche ist eben nicht genug.

Es war Jonas Kaufmanns Premiere als Manrico. Er bestand die Feuertaufe bravourös. Zwar klang die Stimme anfangs wieder etwas gaumiger, floß allerdings frei, mit tenoralem Glanz und nie stand sie unter Druck. Warum die fabelhafte gesungene, 2-strophige Stretta das Publikum zwar begeisterte, allerdings nicht außer Rand und Band brachte, ist mir ein bißchen schleierhaft. Einmal mehr war Anja Harteros die Krönung des Abends, weiblicher Teil dieses Sängertraumpaares ohne hysterisches mediales Chichi. Trotz der etwas einschränkenden äußeren Umstände war ihre Leonora des letzten Aktes tief berührend, ein Beispiel der vollkommenden Durchdringung einer Rolle vokal und darstellerisch. Ich habe mal für mich aufgezählt, in welchem Repertoire ich Anja Harteros schon hörte. In keiner Rolle hat sie enttäuscht, in manchen lieferte sie die maßstabsetzende Interpretation unserer Tage.

Von den Nebendarstellern möchte ich Golda Schultz hervorheben, deren wunderschön gesungene Ines aufhorchen ließ. Der Chor war fantastisch in Form. Das Bayerische Staatsorchester unter Paolo Carignani erwies sich wieder einmal mehr als nur Begleiter der Bühne.

Fazit: Trotz nicht uneingeschänkter Begeisterung über die Produktion freue ich mich auf weitere Abende dieses Trovatore, ein durchaus würdiger Beitrag zu Verdi-Jahr 2013

Premiere 27.06.2013
Musikalische Leitung Paolo Carignani
Inszenierung Olivier Py
Bühne und Kostüme Pierre-André Weitz
Licht Bertrand Killy
Chor Sören Eckhoff

Conte di Luna Alexey Markov
Leonora Anja Harteros
Azucena Elena Manistina
Manrico Jonas Kaufmann
Ferrando Kwangchul Youn
Ines Golda Schultz
Ruiz Francesco Petrozzi
Ein Zigeuner Rafał Pawnuk
Ein Bote Joshua Stewart
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

La Scala Lohengrin

Dezember 19, 2012

Die Besetzung, die musikalische Leitung und die szenische Umsetzung des Lohengrin war zu verlockend. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ich bei einer Programmvorschau Elsa ungleich Anja Harteros den Aufwand und die Kosten, nach Mailand zu reisen auf mich genommen hätte. Aber natürlich gilt: No Risk no Fun. Wie alle Operninteressierten wissen, erkrankte Anja Harteros und Annette Dasch, die Bayreuth-Erprobte, sprang dankenswerterweise am Inauguratione-Abend ein, via arte tv in die ganze Welt versendet. Anja H. war also (mal wieder) schuld daran, daß ich mich zur Scala aufmachte. Nicht zur Eröffnungsgala sondern zur arbeitnehmerfreundlichen 3. Aufführung am 14. Dezember, die mich nur einen Arbeitstag kostete. Hoffnung auf Genesung der Anja H. war zwar vorhanden, allerdings vergeblich, so daß die planmäßige zweite Elsa, Ann Petersen, zum Einsatz kam.

Natürlich habe ich mir die Übertragung der Eröffnungvorstellung durch arte tv nicht entgehen lassen, habe sie mir sogar mehrfach angesehen. Claus Guths Kunst der Inszenierung ist mir auch nicht ganz fremd. Ich will hier nicht zu tief in seine Interpretation einsteigen, die beiden Lohengrin Paare, Telramund und Ortrud, Lohengrin und Elsa, psychologisch auszuloten. Elsa und Lohengrin scheinen traumatische Erlebnisse hinter sich zu haben; Elsa den Verlust ihres Bruders Gottfried, an dessen Verschwinden sie sich schuldig fühlt, und der immer wieder personalisiert auf der Bühne erscheint, so wie auch die kindliche Elsa im Spiel mit ihrem Bruder. Lohengrin ähnelt Gottfried nicht nur äußerlich. Durch ihn scheint Gottfried wiederzukehren. Sollte es sich um eine Repersonifizierung Gottfrieds oder um seine Rückkehr als Erwachsener handeln, oder ist er auch nur eine von Elsas Projektionen, lässt die Art seines Erscheinens mehrere Deutungen zu: 1. Im Lande des Grals ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen und Lohengrin ist froh, zu entkommen oder 2. man hat ihm eine Mission zugewiesen, der er sich nicht gewachsen fühlt oder unsicher ist, sie erfüllen. Diese Extremsituation für beide äußerte sich am Premierenabend in epilepsieanfallsartigen Körperbewegungen von Elsa und Lohengrin, die übertrieben bzw. gekünstelt wirkten (vermutlich aufgrund der überraschenden Besetzungssituation). Diese Wahrnehmung bestätigte sich am 3. Aufführungsabend nicht; dort wirkten die Bewegungen gemäßigter und dadurch nachvollziehbarer.

Natürlich hat auch Ortrud eine Macke. Claus Guth sieht sie als Elsas Gouvernante, eine ältliche Frau, die allgegenwärtig Elsas Tun kontrolliert und dann auch noch den Platz einnimmt, den Telramund ja eigentlich für Elsa anpeilte, obwohl er an dem Mädchen Vaterstelle vertrat.

Sieht man Lohengrin als Jüngling, dann erhielten die Männer des Abends, Telramund, Heinrich, Heerrufer, von Guth nicht annähernd die gleiche oder ähnliche Zuwendung wie Lohengrin, Elsa und Ortrud.

Aufgrund meines Sitzplatzes in einer Loge auf der rechten Seite, noch nicht einmal sehr seitlich, konnte ich leider etwa ein Viertel der Bühne nicht einsehen, mithin all das, was sich mit Elsa in den ersten beiden Aufzügen (um das Klavier herum) abspielte. Die übermäßige Psychologisierung ist mir daher in der Theatersituation entgangen; vom Bildschirm her hatte ich sie natürlich in Erinnerung. Visuell eröffnete sich in den ersten Teilen (von einem Platz zu immerhin 198 Euro) der langweilige Blick auf die Gemäuer und umlaufenden Balkone einer Wohnanlage, insofern eine handwerkliche Verfehlung der Produktion. Wer auf einem solchen Platz nicht vorher die TV-Übertragung sah, verstand ganz und gar nicht, was auf der Bühne abging.

Den dritten Aufzug konnte ich dann endlich in Gänze verfolgen, da sich das Geschehen etwas mehr zur Bühnenmitte verlagerte und ein schilfumstandendes Gewässer freigab mit einem Badesteg, wo Elsa und Lohengrin sich in ihrer Hochzeitsnacht vergnügten.

Viel zu sagen gäbe es zum musikalischen Teil. Der dritte Abend einer Aufführungsserie ist ja nun nicht mehr als gesellschaftliches Ereignis zu bewerten, ich hatte vielmehr vor Beginn den Eindruck, die „normale“ Opernklientel in den Foyers zu sichten. Dem war offenbar nicht so. Das Vorspiel war untermalt zum einen von anhaltendem smalltalk unter den Besuchern, zum anderen von einer murmelnden Geräuschkulisse aus dem Bereich der Bühne, vermutlich der Choristen. Von dem aufregenden Erlebnis zweigeteilter flirrender Violinen also keine Spur; keine Ahnung, warum Daniel Barenboim so etwas toleriert.

Die Akustik der Scala ist ein Handicap, wenn man in einer der Logen sitzt. Plüsch und Samt und der Überbau verschluckt so manches, was instrumental oder vokal eigentlich strahlen sollte und vermutlich auch strahlt, wenn man den entsprechenden Platz innehat. Den Chor empfand ich als die Geiselder Aufführung: keine deutsche Diktion – die hätten in jeder Sprache singen können und keiner hätte diese zu identifizieren vermocht, die Einsätze so ungefähr. An Barenboim lag es nicht, möglicherweise befanden sich die Herrschaften in einer Vorstreikphase, man weiß ja nie. Mich über patzende Bläser aus den oberen Rängen zu beklagen, verkneife ich mir, schließlich bin ich nicht der Nörgler vom Dienst. Ansonsten war Barenboim erfolgreich bemüht, den Sängern den Raum zu geben, den sie verdienen. Womit ich endlich beim ausschließlich erfreulichen Teil des Abends angelangt bin.


Zeljko Lucic
gab in Mailand sein Debut als Heerufer. Seine runde, warme Stimme ist etwas ungewohnt für die Rolle. Trotz feiner Diktion litt er darunter, fast immer aus dem Bühnenhintergrund singen zu müssen und das schluckte zumindest einen Teil der Durchschlagskraft. Wie mir berichtet wurde, sang Tómas Tómasson den Telramund schon in Bayreuth, was in Mailand anscheinend noch immer etwas bedeutet. Über weite Strecken sang er tatsächlich anstatt ins Deklamieren zu verfallen, wie das so mancher Telramund-Darsteller tut; die Intonation verruschte am 14. Dezember nur selten im Vergleich zur Premiere. Ein Vulkan steckt in Evelyn Herlitzius‚ kleiner Person, ein Ausbund an Darstellungswillen und Bühnenpräsenz. Ortrud scheint ihr zu liegen; sie hielt die Stimme trotz allen Temperamentes unter Kontrolle, „sang“ Ortrud und verfiel nicht in Geschrei. Eine superstarke Leistung von Evelyn Herlitzius, eine Sängerin, die ich sehr bewundere. René Pape, als Heinrich der Vogler von der Regie etwas stiefmütterlich behandelt, braucht diese eigentlich gar nicht. Kraft seiner Statur, Bühnenpräsenz und traumhaften Stimme verschafft er sich die Resonanz, die einem König zukommt. Die amerikanische Sopranistin Ann Petersen, planmäßig für einige Vorstellungen vorgesehen, nicht allerdings für diese, sang Elsa für Anja Harteros. Natürlich ist das ein schweres Unterfangen angesichts eines Publikums, das Vergleiche zieht zu einer Elsa, die Maßstäbe setzt. Ich untersagte mir Vergleich an diesem Abend, und mir gefiel es, wie Ann Petersen Elsa anging. Ihre Stimme -schönes, etwas dunkleres Timbre – ist lyrisch und dramatisch genug, das Regiekonzept glaubhaft umzusetzen.

Jonas Kaufmann
hatte am 14. Dezember Beginn an einen glänzenden Abend. Ich will mich hier auf meinen Eindruck aus dem letzten Aufzug beschränken, den ich als Ganzes außergewöhnlich empfand. Aus dem unbefangen/befangenen Spiel mit Elsa am Ufer des kleinen Sees entwickelte sich zunächst der bis zum Zerreissen spannende und bedrückende Zwist mit der verhängnisvollen Frage nach dem Wer und Woher, im Schilf des Seeufers erschlug Lohengrin Telramund und auf dem hölzernen Badesteg knieend erzählte er schließlich vom Gral. Sie haben das sicher alle im Fernsehen gesehen. Warum also erzähle ich das nochmal? Ich fand diesen letzten Akt überwältigend gut. Das so selbstverständlich erscheinende, selbstvergessene Spiel – noch bedeutender aber der strömende Gesang vor allem von Jonas Kaufmann, aber auch von Ann Petersen, ohne erkennbaren Manierismus, war atemberaubend. Und so strömte eben auch die Gralserzählung, klang unkünstlich, obwohl die „Taube“, über die zu berichten ich lieber verzichten würde, weil man einen Sänger nicht an zwei Silben festmachen kann, eine Ausprägung von Kunstgesang darstellt. Jonas Kaufmanns „Taube“ habe ich nach Tagen noch heute im Ohr. Sie alleine war die Reise nach Mailand wert. Ich kann sie mit Worten kaum beschreiben. Anders als am Premierenabend, an dem sie 2 Phasen aufwies, bestand sie aus 3 dynamischen Phasen, war aber eingebunden in den Gesamtkontext der Gralserzählung. Ich halte Kaufmann’s Gralserzählung auch mit dem Abstand von ein paar Tagen für eine maßstabsetzende Leistung.

Nach der zweiten Pause erschienen meine französischen Logennachbarn nicht mehr, nachdem der Herr auf dem vierten Platz bereits nach der ersten Pause das Handtuch geworfen hatte, und ich könnte in aller Ruhe „dem geheimen Buhlen pflegen“, sozusagen ein paar verbotene Schnappschüsse tun.

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Unverständlich fand ich den späten Beginn (19.00 Uhr) für eine Oper mit 2 Pausen und 5 Stunden Dauer in einer Stadt, in der die U-Bahn den Betrieb um Mitternacht einstellt und die im Dezember auch von schlechtem Wetter nicht verschont bleibt, was ausgerechnet an diesem Tag über Mailand hereinbrach. Entsprechend hektisch ging es nach dem letzten Ton der Oper zu. Alle rannten zur U-Bahn (mit Erfolg) und zu den Taxen (erfolglos, weil vorbestellt).
Hier dennoch ein paar Bilder von den Schlußvorhängen.

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René Pape, großartiger König Heinrich, ist hier leider abgeschnitten (rechts) ebenso wie Zeljko Lucic als Heerrufer. Keine Absicht, sondern die Aufregung, einmal ungerüft fotografieren zu können.

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DIRECTION
Conductor
Daniel Barenboim
Staging
Claus Guth
Sets and costumes
Christian Schmidt
Choreography
Volker Michl
Lights
Olaf Winter
Dramaturgy
Ronny Dietrich
Weapons master
Renzo Musumeci Greco

CAST

Heinrich der Vogler
René Pape
Lohengrin
Jonas Kaufmann
Elsa von Brabant
Annette Dasch (7)
Ann Petersen (11, 14)
Anja Harteros
Friedrich von Telramund
Tómas Tómasson
Ortrud
Evelyn Herlitzius
Der Heerrufer des Königs
Zeljko Lucic

Der neue Rigoletto

Dezember 16, 2012

Mit Spannung und mit Vorfreude erwartete ich die erste „richtige“ Premiere dieser Saison an der Bayerischen Staatsoper. Nach dem pseudophilosphischen Schnickschnack, mit dem man bisher verwöhnt worden war, erhoffte ich von Árpád Schilling, dem vorletzte Saison eine spritzige Cenerentola mit dem Opernstudio am Cuvilliéstheater gelungen war, eine interessante Rigoletto Interpretation, gerne mit kontroversen Ideen oder auch einfach nur „schön“. In musikalischer Hinsicht machte ich mir keinerlei Sorgen, unser hochprämiertes Staatsorchester und eine solistische Superbesetzung würde es schon richten.

Ich kann mir gut vorstellen, welche Mühe es Protagonisten und Regisseur abverlangt, eine Oper innerhalb eines Aktionsradius von 2 Quadratmeter auf einem vergrößerten Souffleurkasten in Szene zu setzen. Sechs Wochen Probezeit sind dafür bei weitem nicht genug. Mehr als bedeutungsschwangeres Heben des adligen linken Beines des Duca di Mantova darf man da nicht erwarten. Ach nein, nach der Pause hob er auch das rechte und am Ende legte er sich sogar hin. Ah, einen Hengst hat man hereingefahren, das war wohl ein Versehen. Und einen Rollstuhl gab es, ein rechtes Folterinstrument, möglicherweise der Buckel des Rigoletto. Mehr gibt es von der Bühne nicht zu berichten. Dabei war ich nach dem dekorativen Eröffnungsbild mit den auf einer Tribüne angeordneten Choristen und dem Bläserchor noch sehr optimistisch, erwartete eine Art griechische Tragödie.

Fehlende Aktionen auf der Bühne bedeuten noch nicht, daß eine Inszenierung schlecht ist. Wenn allerdings zwischen den beteiligten Personen nichts passiert, finde ich das schon bedenklich. Die Protagonisten dieses Nichtspektakels schienen sich gerade erst getroffen haben, lieferten die einstudierten Arien zwischen glänzend und gewöhnlich ab. Für eine CD Einspielung mag sowas angehen, für die Bühne der Bayerischen Staatsoper eher weniger.

Leider war auch musikalisch nicht alles so, wie ich es mir gerne wünschte. Wenn man beispielsweise einen Blechchor so exponiert auf die Bühne bringt wie geschehen, dann muß bitte jeder Einsatz und Ton sitzen, gegebenenfalls sollten die Musiker soviel professionellen Ehrgeiz entwickeln, den aufgeregt herumfuchtelnden Dirigenten zu ignorieren. Ich beobachte seit einiger Zeit, etwa seit dem Bayerischen Staatsorchester das medienwirksame Siegel eines Orchester des Jahres verliehen wurde, eine nachlassende Qualität. Am Rigoletto Abend äußerte sich dies durch ein breiiges Zudecken (nicht nur einmal) der Gesangsstimmen,dem sogar der stimmgewaltige Joseph Calleja zum Opfer fiel.

Stimmlich war der Abend durchweg erfreulich, auch wenn ich mir mehr etwas mehr Emotion manchmal gewünscht hätte, die allerdings die Interesselosigkeit des Regisseurs an zwischenmenschlichen Beziehungen verhinderte.

Ich habe weitere Rigoletto Besuche im Dezember geplant, die ich wegen der glänzenden Sänger auch wahrnehmen werde. Dann werde ich auch zu ihnen etwas ausführlicher berichte. Für heute ist mir die Lust daran vergangen.

Großer, berechtigter Premierenjubel für Joseph Calleja, die beeindruckende Patricia Petibon und den sehr schön singenden Franco Vasallo.

Der Buhsturm für das Regieteam war dann doch etwas zu viel der Ehre, schweigendes Ignorieren wäre angemessener gewesen, denn zu Reiben gibt es nichts an dieser Inszenierung. Wo nichts ist, kann man sich nicht reiben. Großer Andrang der Enttäuschten an der Garderobe bereits unmittelbar nach dem ersten Vorhang. Was sind das für Premieren!

Rigoletto
Premiere am 15. Dezember 2012
Musikalische Leitung Marco Armiliato
Inszenierung Árpád Schilling
Bühne und Kostüme Márton Ágh
Licht Christian Kass
Dramaturgie Miron Hakenbeck
Chor Stellario Fagone

Il Duca di Mantova Joseph Calleja
Rigoletto Franco Vassallo
Gilda Patricia Petibon
Sparafucile + Monterone Dimitry Ivashchenko
Maddalena + Giovanna Nadia Krasteva
Marullo Tim Kuypers
Borsa Matteo Dean Power
Il Conte di Ceprano Christian Rieger
La Contessa di Ceprano Iulia Maria Dan
Usciere Goran Jurić
Paggio della Duchessa Yulia Sokolik

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

Lebenszeichen

Dezember 16, 2012

Wenn hier zuweilen nichts geboten wird, heißt das noch lange nicht, daß opernmäßig bei mir nichts los ist.
Zwischen
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und

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musste auf einen geplanten Besuch in Wien verzichten, war aber in Zürich und immer mal wieder zuhause im Nationaltheater. Darüber wird demnächst zu berichten sein.

Der Fall Rusalka

November 14, 2012

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß ich mit Martin Kušejs Rusalka Produktion wenig anfangen kann, mochte sie hinsichtlich der Führung des Bühnenpersonals auch noch so brilliant umgesetzt worden sein. Im Zusammenhang mit den derzeit auf Münchner Bühnen präsentierten Werken, spürten AZ-Redakteure der Frage nach, was es bringt, nah am Puls der Zeit zu sein, am Beispiel Rusalka den Fall Natascha Kampusch quasi neu zu verhandeln. Meine Abneigung gegenüber der Produktion geht allerdings nicht so weit, daß ich mich bei interessanten Besetzungen der szenischen Tortur verweigern würde. Von der gegenwärtigen Serie habe ich bereits eineinhalb Vorstellungen hinter mir. Eine weitere steht am kommenden Wochenende an, auf die ich mich besonders freue. Was ich nach dem erneuten Besuch vermelden kann, bestätigt meine anfängliche Abneigung gegen die krasse Aktualisierung des Stoffes, deren Stringenz sich deutlich abgeschliffen hat, was mehrere Gründe haben wird, die ich hier nicht weiter erörtern will. Ausschlaggebend wird sicher der Wechsel in der Besetzung sein sowie manches Bühnendetail, das nun nicht mehr zwingend umgesetzt wird und natürlich der zeitliche Abstand zu der Katastrophe.

Ohne Piotr Beczala, der bereits zu den letztjährigen Festspielen den Prinz sang, hätte ich mich wohl kaum zu einem Besuch durchgerungen. Seine Stimme ist für mich nach wie vor ideal für diese Rolle, sitzt souverän in der Kehle, überstrahlt die Höhenklippen der ersten Akte und bewegt zutiefst im letzten Akt. Beczala gibt jeder seiner vokalen Herausforderungen die passende Farbe, das Quantum Emotion, das es braucht, um zu berühren. Auffällig war wiederum die starke Verbesserung der szenischen Präsenz, die vielleicht mit der sicheren Abrufbarkeit der sängerischen Klasse einhergeht, vielleicht nimmt er ja auch Schauspielunterricht. Ist ja auch nicht wirklich wichtig. Höchst wichtig wäre allerdings mal wieder eine Rasur, denn der Moustache ist nicht wirklich chic, wenn Sie mich fragen. Allerdings fragt mich keiner.

Die neue Rusalka ist Ana Maria Martinez, die ich zum ersten Mal auf der Bühne erlebte. Zunächst erschien ihre Stimme etwas gewöhnungsbedürftig für meine Ohren, die durch ein schnelles leichtes Vibrato gekennzeichnet ist. Am zweiten Abend hat sie mir dann ausgezeichnet gefallen, auch darstellerisch schlug sie sich gut. Ob sie sich allerdings zu den Fischen ins Bassin begab, kann ich aufgrund meiner Sitzposition im rechten Rang nicht sagen.

Günther Groissböcks Kotzbrocken Vodnik war stimmlich gewohnt präsent. Mit der Ježibaba wusste Martin Kušej nicht viel anzufangen, auch die neue Hexe, Birgit Remmert, wirkte irgendwie fehl am Platz. Fehlbesetzt fand ich die fremde Fürstin, Siegerzicke und Opfer gleichzeitig. Nichts davon bei der schrillen Heike Grötzinger. Auffallend gut präsentierten sich die drei Nymphen Laura Tatulescu, Angela Brower und Okka von der Damerau.

Leider kann ich in meine allgemeine Begeisterung über die Sänger das Orchester dieses Mal nicht einbeziehen. Es klang unter dem neuen Dirigenten Mikhail Tatarnikov dumpf, wenig abgestimmt, uninspiriert, laut und die Sänger häufig überdeckend. Rusalka hat man in diesem Haus schon wesentlich besser gehört. Kann es sein, daß sich im Orchester gerade größere personelle Umschichtungen vollziehen? Ich sehe so manchen guten Kopf nicht mehr.

Ich besuchte die Vorstellungen am 5. und am 9. November 2012. Eine weitere Rusalka präsentiert die Bayerische Staatsoper am 16. November 2012.

Besetzung

Musikalische Leitung Mikhail Tatarnikov

Der Prinz Piotr Beczala
Die fremde Fürstin Heike Grötzinger
Rusalka Ana Maria Martinez
Der Wassermann Günther Groissböck
Die Hexe Birgit Remmert
Der Förster Ulrich Reß
Der Küchenjunge Tara Erraught / am 9.11.Iulia Maria Dan
1. Waldnymphe Laura Tatulescu
2. Waldnymphe Angela Brower
3. Waldnymphe Okka von der Damerau
Ein Jäger Tim Kuypers

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper

Bayerische Staatsoper – Lohengrin

November 12, 2012

Gelegenheit, meine kleine Blog-Schreibpause zu beenden, bietet die Wiederaufnahme von Lohengrin an der Bayerischen Staatsoper. Ich habe ja Richard Jones‘ Häuslebauer-Inszenierung nie für ganz daneben gehalten und habe sie inzwischen doch schon einige Male sehen können. Zwar geht mir die Sinnhaftigkeit einzelner Aktionen noch immer nicht ganz auf, gelangweilt habe ich mich allerdings nie.

Ich bin seit nicht allzulanger Zeit nach einigen Dekaden fernglasloser Operngeherkarriere stolze Besitzerin, obwohl seltene Nutzerin eines Opernglases, das mir in dieser Vorstellung gute Dienste tat. Alleine schon vom Ablauf des Geschehens her hatte es mir zunächst die Elsa angetan und da sah ich doch Erstaunliches. Anja Harteros hat gegenüber allen Rollennachfolgerinnen natürlich den Vorteil, die Produktion für die Premiere einstudiert zu haben. Nach immerhin mehr als drei Jahren ist sie noch immer sehr in der Rolle dieser sehr speziellen Elsa mit deren, ja, schillernden Charakter, macht jede Gefühlregung miterlebbar; die der zielstrebig an der Verwirklichung ihrer Zukunftsvorstellungen arbeitenden Elsa, die der verträumten junge Frau, die ihre Träume vor der Männergesellschaft offenlegt und die fast entrückt darauf beharrt, daß diese sich verwirklichen würden. Damit hat mich Anja Harteros im ersten Aufzug vollkommen in Bann gezogen. Nichts an Mimik und Aktionen wirkte aufgesetzt und das setzte sich in den weiteren Akten fort, wenn es um das Teilen ihres Glückes, um Mitleid zu Ortrud geht im 2. Aufzug beispielsweise, um den Stolz, ihren Helden errungen zu haben, den Ausdruck von Eifersucht, Wut, Trauer und Freude über die Rückkehr des Bruders im letzten Aufzug.

Frau Harteros hat auch gesungen. Ihre darstellerischen Qualitäten gehen einher mit den ihr zur Verfügung stehenden stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten, die sie alle Situationen „richtig“ gestalten lassen. Zwar war die gestrige Elsa nicht ganz fehlerlos von der Textseite her, „Einsam in stillen Tagen“ klang noch etwas verhalten, auch wenige Spitzenschärfen entgingen mir nicht, aber was macht das schon angesichts des hinreißenden Rollenbildes ihrer Elsa und den Wonnen, diese wunderbare Sängerin auf der Bühne zu erleben. Das musste mal gesagt werden.

Klaus Florian Vogt gab seinen Einstand als Lohengrin in dieser Produktion. Hat immerhin mehr als drei Jahre gedauert. Und das war gut so. Inzwischen hat die Stimme Volumen zugelegt (womit ich nicht Lautstärke meine) und Farbe, auch schöne Bögen sind zu vernehmen. Frappierend für mich ist immer wieder, mit welcher Präzision, scheinbar ohne Mühe und mit großer Stamina er die Partie singt. Die merkwürdige Atemsache scheint weitgehend kaschiert, wenn auch nicht ganz behoben, weswegen ich nicht von toller Gesangstechnik schreibe, was eigentlich naheliegen würde, wenn man Klaus Florian Vogt so munter singen hört. „Wir werden denen zuhause mal empfehlen, den Klaus Florian Vogt zu hören, damit sie wissen, wie man Lohengrin singen muß“, sagte mir ein Besucherpaaar aus Wien auf meine Frage, wie ihnen der Abend gefallen habe. Auch mir hat Vogt als Lohengrin außerordentlich gut gefallen, seine Gralserzählung war atemberaubend, die Taube überirdisch. Vogts Schauspielkunst kann da nicht so ganz mithalten. Wer um Himmelswillen hat ihm bloß diesen starren Blick antrainiert, den hatte er in Bayreuth schon. Wer allerdings so fabelhaft singen kann, darf auch starr blicken. Punkt.

Mit Interesse hatte ich nach den Bayreuther Querelen Evgeny Nikitins erneuten Auftritt als Telramund erwartet, den er im letzten Sommer in München auch schon sang. Er entledigte sich der Aufgabe respektabel, hatte leichte Textprobleme, der Auftritt war sicher nicht ganz leicht für ihn. Das Publikum war fair und beurteilte die Bühnenleistung fair und freundlich. Der jüngste Nachfolger Evgeny Nikitins Heerrufer-Premierenhochsitz ist Markus Eiche, dessen Stimme mich gleich bei der ersten Phrase aufhorchen ließ; der gute Eindruck bestätigte sich über den Abend. Ein Neuzugang im Ensemble der Bayerischen Staatsoper, dem ich alles Gute wünsche. Licht und Schatten hingegen war nicht zu sehen aber zu hören bei Michaela Schusters Ortrud, die sich vor allem im letzten Aufzug ein bißchen unter Wert präsentierte. Wie Ortruds Schicksal eben. Auch Hans-Peter König schien als Heinrich der Vogler nicht seinen allerbesten Tag erwischt zu haben. Die nächsten Vorstellungen werden den Eindruck wahrscheinlich zurecht rücken.

Als Brabantische Edle rundeten Francesco Petrozzi, Dean Power, Tim Kuypers und Rafał Pawnuk den guten Gesamteindruck wohltuend ab. Nicht zu vergessen die reizenden Tölzer Knaben, die mir dieses Mal besonders jung erschienen.

Der Neuzugang am Pult, Lothar Koenigs, der die Produktion von Generalmusikdirektor Kent Nagano übernahm, hielt nicht nur das Orchester zusammen, nachdem mich der Beginn des Vorspiels leicht irritiert hatte und zwar links und rechts im Graben; es gelang ihm den dramatischen musikalischen Bogen zu spannen, mit gelegentlich ziemlichem Wumms, was mich aber nicht störte. Die Nagano in dieser Produktion immer wieder nachgesagten Abstimmprobleme mit dem Chor stellten sich bei Koenigs ebenso ein. Also wohl eher ein Produktions- als ein Dirigentenproblem.

Ich besuchte die Aufführung am 11. November 2012. Fotos mit (hoffentlich) freundlicher Genehmung der Bayerischen Staatsoper von deren Homepage.
Weitere Aufführungen im November: Bayerische Staatsoper

Festspiele 2012: Natur und Kunst

August 19, 2012
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Salzburg am bisher heißesten Tag des Jahr 2012. Schattensuche auf dem Mönchsberg.

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Festspiele 2012 – Ariadne auf Naxos

August 17, 2012

Ankündigung: Ariadne auf Naxos
Oper in einem Aufzuge op. 60
Text von Hugo von Hofmannsthal (1874–1929)

Zu spielen nach dem Bürger als Edelmann des Molière in der Bearbeitung von Hugo von Hofmannsthal
Fassung für die Salzburger Festspiele 2012 von Sven-Eric Bechtolf
[…]
Dauer voraussichtlich 3,45 Stunden.

Ich hatte mich tatsächlich auf die Ur-Ariadne gefreut und mal wieder die Programmankündigung nur oberflächlich zu Kenntnis genommen. Und so bekam ich denn auch, was ich verdiente, eine Art „Ur“-Ariadne und das gleich zwei Mal, denn meine Karteneinkaufspolitik erwies sich in diesem Fall auch nicht als mit „attention to detail“ ausgestattet. Ich bin ein schwieriger Fall, wenn es um Richard Strauss geht; an gutem Willen fehlt es mir allerdings nicht. Schon gar nicht bei den Salzburger Preisen. Und so saß ich auf meinem Platz im Rang des Haus für Mozart (beim zweiten Besuch sogar in der ersten Reihe) und wunderte mich.

Zuerst wunderte ich mich, daß nicht nur Hofmannsthal in seiner eigenen Oper persönlich mitspielte, sondern mit ihm offenbar auch seine Geliebte, noch dazu beide mit Text. Natürlich hatte ich mir angelesen, daß es sich bei dem ersten Akt um eine Fassung des Bürger als Edelmann von Molière handeln sollte. Jedoch wurde der erste Akt länger und länger und zuerst wunderte ich mich, daß der Komponist nichts zu singen hatte, und dann wunderte ich mich, daß die mich umgebenden Besucher, überwiegend Österreicher, das Dargebotene so schrecklich lustig fanden. Mir erschien das Dargebotene eine Art Komödienstadel-Aufguß auf Wiener Art zu sein, was auch die große Heiterkeit im Publikum erklärt hätte. Nichts gegen die Österreicher – vermutlich war da tatsächlich viel lokaler Witz enthalten und bei Cornelius Obonya, dem Darsteller des Monsieur Jourdain handelt es sich offenbar um einen glänzenden Schauspieler und Publikumsliebling. Ich fand’s ätzend langweilig und die beiden kurzen Intermezzi zweier Sängerinnen im Palais des Monsieurs sowie sparsamste musikalische Umrahmung durch Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Daniel Harding machten den Braten in der langen ersten Halbzeit auch nicht fett.

Ein kurzer Auftritt vor der Pause der irgendwann wohl oder übel in Aktion treten müssenden Sängertruppe mit dem zweitbesten Tenor der Welt mit Lockenwicklern, der angesichts drohenden Ungemachs durch M. Jourdain „Io Airport“ schmetterte und von der Bühne abging, ließ Hoffnung auf Besserung aufkeimen und so ging ich denn guter Dinge in die zweite Halbzeit oder besser gesagt, ins letzte Drittel.

© Ruth Walz Salzburger Festspiele

Angesichts der beengten Verhältnisse in Monsieur Jourdains privatem Theater war es nicht verwunderlich, daß Ariadnes einsame Insel aus Teilen hochglänzender Konzertflügel bestand, auf deren schroffen Kanten sich die Darsteller der gleichzeitig stattfindenden Tragödie wie der Komödie abarbeiteten.

© Ruth Walz Salzburger Festspuele

Das Beste kam in der Tat zum Schluß und so wurde ich trotz grundloser Verschwendung meiner Lebenszeit doch noch versöhnt. Während der Vorstellung war ich überzeugt, daß Jonas Kaufmann das Outfit eines Reptils trug. Das lag irgendwie nahe, so wie er sich um die Flügelfragmente wand. Erst auf den Fotos sah ich, daß er eine Kreuzung aus Panther und Leopard darstellte. Und so ähnlich sang er auch. Die 15 Minuten Kaufmann waren die stundenlange Tortur wert. Seine Circe Rufen ließen mir beinahe die Ohren wegfliegen. Die fegten wie ein Orkan über die Insel und die arme Ariadne.

© Ruth Walz Salzburger Festspiele

Zu erwähnen wäre noch Elena Moșucs Zerbinetta, in dieser sogenannten Urfassung tierisch hoch liegend und wesentlich länger als in der gängigen Version, eine Herausforderung, die sie technisch brilliant meisterte. Das war es dann aber auch. Keine Seele. Emily Magee als Ariadne blieb glanzlos. Sehr gut gefiel mir der Gesang der Nymphen, aber auch der von Zerbinettas männlicher Entourage (soweit die Stimmen nicht verstärkt-verzerrt in meinen Ohren ankamen).

Außer Kaufmanns beeindruckendem Auftritt und Elena Moșucs Stimmakrobatik haben mir beide Abende musikalisch nichts gegeben. Zu störend dröhnten die Laufsprecherboxen in den Rang, die den Orchesterklang deutlich verfremdeten. Selbst manche Männerstimme (der Zerbinetta-Truppe) schien aus der Decke zu dröhnen. Oper im Haus für Mozart möchte ich mir nach dieser enttäuschenden Erfahrung in Zukunft nur ungern anhören.

LEADING TEAM

Daniel Harding, Musikalische Leitung
Sven-Eric Bechtolf, Regie
Rolf Glittenberg, Bühne
Marianne Glittenberg, Kostüme
Heinz Spoerli, Choreografie
Ronny Dietrich, Dramaturgie
Jürgen Hoffmann, Licht

BESETZUNG

Emily Magee, Primadonna/Ariadne
Elena Moșuc, Zerbinetta
Jonas Kaufmann, Tenor/Bacchus
Eva Liebau, Najade/Eine Schäferin
Marie-Claude Chappuis, Dryade/Ein Schäfer
Eleonora Buratto, Echo/Eine Sängerin
Gabriel Bermúdez, Harlekin
Michael Laurenz, Scaramuccio
Tobias Kehrer, Truffaldin
Martin Mitterrutzner, Brighella
Peter Matić, Der Haushofmeister
Cornelius Obonya, M. Jourdain
Thomas Frank, Der Komponist
Michael Rotschopf, Hofmannsthal
Regina Fritsch, Ottonie/Dorine
Stefanie Dvorak, Nikoline
Johannes Lange, Lackey
Wiener Philharmoniker

Festspiele 2012 – Ouverture spirituelle

August 17, 2012

(c) Silvia Lelli, Salzburger Festspiele 2012

Junge Orchester werden zu den Salzburger Festspielen erfreulicherweise häufig eingeladen, vor allem wenn bedeutende Dirigenten sie begründeten oder mit ihnen arbeiten. Claudio Abbado, Gründer und Musikdirektor des Gustav Mahler Jugendorchesters, das ich später im August im Konzert unter Daniele Gatti hören werde, leitete das Orchestra Mozart Bologna, dessen künstlerischer Direktor er ebenfalls ist. Auch Daniel Barenboim war mit seinem West-Eastern Divan Orchestra Anfang in August in Salzburg; neben den anderen Programmen mit jugendlichen Künstlern eine beispielhafte und vor allem kontinuierliche Initiative der Salzburger Festspiele.

In diesem Jahr wurde dem bisherigen Beginn der Salzburger Festspiele eine sog. „Ouverture spirituelle“ vorangestellt, ein Konzertreihe mit geistlicher Musik, aus der ich unter anderem Claudio Abbados Konzert wählte. Zum einen habe ich in den letzten Jahren fast schon ein Faible zu geistlicher Musik entwickelt, andererseits spielte das Konzertprogramm nur eine untergeordnete Rolle; Claudio Abbado macht sich in unserer Region derart rar, daß ich jede Gelegenheit nutzen würde, den Maestro am Pult zu erleben.

Im ersten Teil des Konzertes erklang Wolfgang Amadeus Mozarts Messe c-Moll KV 139 – die Waisenhausmesse von 1786, deren ausgereifte Struktur nicht darauf schließen läßt, daß sie von einem 13-jährigen Kind komponiert wurde. Für die Mozartmesse kamen Roberta Invernizzi, Sara Mingardo, Javier Camarena und Alex Esposito als Solisten zum Einsatz, die mit Orchester und dem Schoenberg Chor ein elegantes, festlich-frohes Klangbild entstehen ließen.

Weniger lebensfroh aber nicht minder feierlich dann das Hauptwerk, Franz Schuberts Messe Es-Dur D 950, letztes geistliches Werk Schuberts, im Jahr seines Todes 1828 entstanden. Die Messe hat einen ruhigen Grundcharakter, ist mehr kontemplativ als katholisch barock. Trotz großer Besetzung war auch hier das Klangbild transparent, die Einzelstimmen gut identifizierbar Der präzise und textverständlich intonierende Arnold Schoenberg Chor unterstützte diesen Eindruck.

Rachel Harnisch war als Sopran in der Schubertmesse eingesetzt, den zweiten Tenor sang Paolo Fanale; Sara Mingardo, Javier Camarena und Alex Esposito bestachen mit ausdrucksvollem Gesang wie bei schon bei Mozart. Als Wohltat empfand ich Sara Mingardos echten Alt; eine veritable Altstimme zu hören passiert viel zu selten und ist einfach schön.

Der Applaus war überschäumend, sicher auch wegen der Freude, Claudio Abbado so vital in Salzburg wieder erleben zu können. Mit Ausnahme eines verwackelten Fotos, das ich machen konnte, als er sich auf Dirigentenpodest unmittelbar nach Ende der Messe verneigte, bekam ich den Maestro nicht mehr vor die Linse. Bescheiden und zurückhaltend hielt sich Claudio Abbado, der als Dirigent vor dem Orchester stehend ausgesprochen hoch gewachsen wirkt, beim Applaus im Hintergrund, versteckte sich fast hinter den Bratschern, als ob er eine Treppenstufe unterhalb stehengeblieben wäre und ließ den Solisten, dem Chor und deren Direktor sowie seinem famosen Orchester die Meriten.

Die Interpreten am 28. Juli 2012 im Haus für Mozart
Claudio Abbado, Dirigent
Rachel Harnisch, Sopran
Roberta Invernizzi, Sopran (nur Mozart)
Sara Mingardo, Alt
Javier Camarena, Tenor
Paolo Fanale, Tenor (nur Schubert)
Alex Esposito, Bass
Arnold Schoenberg Chor
Erwin Ortner, Choreinstudierung
Orchestra Mozart Bologna

Festspiele 2012 – La Bohème

August 15, 2012

La Bohème auf der Fensterbank. Ganz erschlossen hat sich das Bühnenbild mir nicht. Erstes Bild: Ein übergroßes, geschlossenes Fenster, auf dessen (schräger) Fensterbank die Bohèmiens leben. Zweites Bild: Das Fenster öffnet sich nach außen. Ein riesiger Stadtplan (Google map oder doch besser ein Monopoly Brett, Pariser Stil) klappt auf. Häuser werden die Kellner des Café Momus später darauf platzieren, auf welche die Gäste sich setzen können. Doch vorher gibt es reichlich Konsumkritik, bunt, glitzernd und blinkend. Drittes Bild: Eine Ausfallstrasse am Rand von Paris. Winter. Schneematsch. Brotzeitwagen im Morgengrauen. Viertes Bild: Wieder übergroße Fenster und die schräge Fensterbank, offensichtlich ein Abrisshaus. Der Vermieter hat eine „Entmietung“ vorgenommen und die Habseligkeiten der Bohèmiens zu einem Haufen zusammengeschoben, fertig zur Entsorgung. Dort, auf einer Matratze, endet Mimis Leben.

Zweites Bild La Bohème


Das Bühnenbild ist recht plakativ, vor allem im Café Momus Teil. Ansonsten erschließt sich mir die Verzerrung der Perspektive nicht, zumindest hat sie für mich keinen dramaturgisch Sinn sondern bestenfalls einen dekorativen. Das ist aber auch schon alles, was ich an der Inszenierung auszusetzen habe. Die Aktualisierung finde ich insgesamt gelungen. Die Sänger bewegten sich recht natürlich, entweder weil intensiv an der Gestik gearbeitet wurde oder weil ihnen ähnliche Szenarien auch heute anzutreffen sind. Eine vielleicht multikulturell zusammengesetzte WG von jungen Männern am Beginn ihres künstlerischen Daseins in einem Abbruchhaus lebend und Mimi, um Feuer für ihre Zigarette bittend, – das hatte schon Atmosphäre. Gleiches gilt für die an eine triste Ausfallstrasse verlegte Szene an der Zollschranke. Aber jeder konnte sich bei der TV-Übertragung selbst ein Bild von der Sache machen und sie mögen oder nicht.

Zunächst hatte ich überhaupt keine Karte for La Bohème bestellt, der Ansturm auf die Karten schien mir übertrieben, künstlich angeheizt, die Oper ohnehin nicht zu meinen Lieblingstücken gehörend, abgenudelt irgendwie und auch nicht recht zu den Salzburger Festspielen passend. Dann allerdings gab es die unverhoffte Gelegenheit, die Generalprobe zu besuchen, nach deren Besuch ich meine vorgefasste Meinung zu ändern hatte. Ich versuchte eine Karte für eine reguläre Vorstellung zu ergattern und hatte auch Glück.

Grundlage für meine Begeisterung legte zunächst Daniele Gatti. Am Pult einer Bohème hatte ich eigentlich noch nie einen zur ersten Dirigenten-Garnitur zählenden Maestro gehört. Ich kann zwar nicht wirklich begründen, warum mir das Spiel der Wiener Philharmoniker so unter die Haut ging. Neben dem herrlichen Klang war es sicher die Entschiedenheit mit welcher Gatti die dynamischen Ausbrüche nehmen liess.

Edel die Sängerauswahl, wie sich das für Salzburg geziemt. Nino Machiadze machte in der schwer zu besetzenden Rolle als Musetta nicht nur eine gute Figur. Das Quartett der Bohèmiens konnte charakteristischer kaum besetzt werden. Massimo Cavalletti in der etwas undankbaren Rolle des Marcello überzeugte rundum mit seinem kräftigen, schönen Bariton. Ausgesprochen spielfreudig zeigte sich Alessio Arduini als Musiker Schaunard, auch er mit auffallend farbschönem Bariton. Als Luxusbesetzung erwies sich der bärenhafte Carlo Colombara als Colline. Piotr Bezcala führte das Quartett als Rodolfo an. Seine stimmlichen Qualitäten muß ich hier nicht zum hundertsten Male preisen. Was ich hier besonders herausstellen möchte, ist seine bemerkenswert gute schauspielerische Leistung. Es zahlt sich offenbar schon aus, eine Inszenierung von Anfang an mitzugestalten und vielleicht sogar Einfluß zu nehmen. Der Unterschied zum Auftritt in einer bestehenden Produktion ist frappant. Beczala spielte den lässigen Typ Rodolfo absolut überzeugend. Ich sah neben der Generalprobe die Aufführung am 10. August, die erste Aufführung nach seinen beiden Absagen. Ich hatte den Eindruck, daß Piotr Beczala den Abend stimmlich etwas vorsichtig anging. Rodolfo liegt ihm aber sozusagen in der Kehle. Dieses Mal gesellte sich eben zur vokalen Farbenpalette noch die visuelle. Klasse.

Hatte ich von Piotr Beczala stimmlich nichts anderes als höchste Qualität erwartet und bekommen, war ich mir bei Anna Netrebko nicht so ganz sicher. Ihr gelang die für mich größte Überraschung. Der Ruf als glamouröser, „gemachter“ Sängerstar ist das eine. In Salzburg zeigte sie eine hochprofessionelle Seite. Ich möchte nicht so weit gehen und sagen, sie verkörperte Mimi als wäre es ein Teil von ihr. Es schien so. Aber es war ein Spiel. Kunst. Ihre Mimi war wunderbar; Darstellung, Stimme, Ausdruck – eine junge Frau, die im Umgang mit ihren neu gewonnenen Freunden die heute üblichen, auf Distanz bedachten Verhaltensweisen verkörperte und dann doch zum Sterben zu ihren Liebsten zurückkehrt. Die Stimme dazu ist so schön, dunkel timbriert, reich, im Ausdruck immer der Situation angepasst. Ein großes Erlebnis war diese Bohème für mich.

Ich sehe mich schon als Netrebko-Fan enden.

Aufführung am 10. August 2012

Daniele Gatti, musikalische Leitung
Damiano Michieletto, Regie
Nikolaos Lagousakos, Choreografische Mitarbeit
Interpreten: Piotr Beczala, Anna Netrebko, Massimo Cavalletti, Nino Machaidze, Alessio Arduini, Carlo Colombara, Davide Fersini, Peter Kálmán, Paul Schweinester, Steven Forster
Wiener Philharmoniker
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor

Festspiele 2012 – Liedermatinée Christian Gerhaher, Gerold Huber

August 15, 2012

Haus für Mozart

So sieht es im ungeliebten „Haus für Mozart“ aus, wenn sich zwei Weltklasse Künstler anschickt, die populäre „Schöne Müllerin “ zu geben. Anderswo hätte man sich um die Karten gerissen. Nicht so in Salzburg, wo nur lautes Klappern und vorangehender Medienhype den Ticketverkauf fördert. Zu groß und unübersichtlich ist das diesjährige Angebot. Sei’s drum. Die, die da waren, durften sich an Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ D795 erfreuen.

Vor ein paar Monaten gab es ein Video des BR, bei dessen Symphonieorchester Christian Gerhaher diese Saison Artist in Residence ist, über Gerhahers und Hubers Arbeit an der Interpretation der Schönen Müllerin. Ich muss unbedingt recherchieren, ob dieses Video noch verfügbar ist.Im Programmheft zu der Matinée erklärt Christian Gerhaher, warum er und Gerold Huber dem Zyklus drei Gedichte Wilhelm Müllers hinzugefügt haben, die Schubert nicht vertont hat und wie diese sich in die Aufführungspraxis einfügen.

„Das Mühlenleben“, als Rezitation eingefügt zwischen Der Neugierige und Ungeduld, „Erster Schmerz, letzter Scherz“ zwischen Eifersucht und Stolz und Die liebe Farbe und „Blümlein Vergißmein“ zwischen Die böse Farbe und Trockne Blumen erhellen nicht nur die Charaktere der Müllerin und des Müllers und tragen zum tieferen Verständnis der Lyrik bei. Die Gedichte zeigen (vor allem) mit welch wunderbarer Sprechstimme Christian Gerhaher auch gesegnet ist.

Die symbiotische Zusammenarbeit zwischen den beiden Musikern zeigte sich auch oder gerade an der Schönen Müllerin. Hier merkt man die Auseinandersetzung (nicht daß diese sonst nicht spürbar wäre), aber auch die tiefe kulturelle Verwurzelung. Die Empfindung (meine) ist, als ob alles spontan und unmittelbar ausgedrückt würde, so jedenfalls fließen Musik und Text und vermittelt sich die Seelenlage des Müllergesellen. Natürlich ist das nicht spontan sondern Ergebnis vieler Proben.

Ein pausenloser musikalischer Vormittag. Natürlich keine Zugabe. Ovationen.

10. August 2012, Salzburg, Haus für Mozart