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La Scala: Tannhäuser Fura-Mehta

März 24, 2010

Nach fast zehn Jahren verschlug es mich mal wieder nach Mailand, mit Freuden, war es mir doch bisher nicht vergönnt, eine Vorstellung im berühmtesten Theater zu besuchen, vor dem ich schon oft stand, ohne je einen Fuß hineinzusetzen. Als ich zu Anfang des Jahrtausends in Mailand arbeitete, war La Scala wegen Renovierung geschlossen, und der Besuch der ausgelagerten Spielstätte im Teatro degli Archimboldi wurde mir von meinen damaligen Kollegen nicht gerade empfohlen. Wie dem auch sei, der Genuss wurde mir im hohen Alter zuteil. Daß Tannhäuser gegeben wurde, kam mir gerade recht, denn die Mailänder Besetzung würde vermutlich die Enttäuschung mildern, die sich nach den im Januar in München erlittenen Tannhäuser-Vorstellungen in meinem Gedächtnis breit gemacht hatte.

Im Programmheft bezeichnet Carlus Padrissa (La Fura dels Baus) seine La Scala Inszenierung des Tannhäuser als „Version Mehta-Fura“.
„Zuerst war die Musik“ und sie sei es, um die sich die anderen Künste schlingen sollen, um zu einem einzigartigen und unwiederholbaren szenischen Ritual zu verschmelzen. Mehta-Fura sei der Versuch, szenische Darstellung mit Imagination, Überraschung und Leidenschaft zu verbinden.

Als Schauplatz des Tannhäuser-Dramas wurde Indien gewählt. Dort seien Gebräuche und Glaube des Mittelalters noch immer lebendig. Eingebettet zwischen karger Wüste und üppiger Tropenlandschaft, zwischen grellen Werbewänden und antiken erotischen Tempeln, zwischen Bollywood und den Wallfahrten der Massen liegen zeitlos Wartburg und Venusberg.

Mehta-Fura
sei eine Erinnerung an alle Tannhäuser der Geschichte, die zwischen Wartburg und Venusberg balancierten, Menschen wie Michael Jackson, Marilyn Monroe, Franz Schubert, Jimi Hendrix, van Gogh, Mozart, Edit Piaf, Janis Joplin, Oscar Wild, Einstein, John Lennon, Salvador Dali und nicht zuletzt Richard Wagner. Tannhäuser sei ein Wesen, das sich auflehne gegen die in seine Hand geprägten Schicksalslinien. Sobald Tannhäuser der zur Faust geballten Hand entsteige (auf der Bühne) würde er von seinem Schöpfer auf den ihm vorgezeichneten Schicksalsweg zur Venusberg-Türe geschickt, während Tannhäusers eigener Wille sich sukzessive entwickle und sich den Verhaltensweisen der universalen Tannhäuser nähere.

Tannhäuser Tragödie sei, wie Wieland Wagner einst kommentierte, die des christlichen Menschen (Mannes), der den inneren Konflikt zwischen Spiritualität und Instinkt zu bestehen habe und der den verlorenen Weg der Einheit zwischen Gottheit und Mensch tastend suche. Sein Kreuz sei der Zwiespalt zwischen Rausch und Askese. Wer versuche, zwischen diesen Extremen zu leben, fände keine Befreiung („Erlösung“) sondern doppelte Verdammnis durch alle Welten: Venus verfluche ihn, und es verflucht ihn auch der Papst.

Erst im Meer der Tränen, das Elisabeth im Kummer über den abwesenden Geliebten mit ihrer letzten Arie füllt, fände Tannhäuser Erlösung seiner Leiden, während das Bild der toten Elisabeths Bild hoch über ihm schwebe und sich zum Venusstern wandele.

Carlus Padrissa begründet auch die Entscheidung, beim Einzug der Gäste ein (für mich) befremdlich anmutendes bollywoodeskes Ballett einzufügen. Bei den Aufführungen in der Opéra Garnier um 1860 war es üblich, daß die Operngäste zu Beginn des zweiten Aktes eintrafen, zum Zeitpunkt des dann in der grande opéra üblicherweise stattfindenden Ballettes. Tannhäuser war aber eben keine „Gebrauchskunst“ sondern visionäres Musiktheater, und Richard Wagner erntete dafür Unmut und Pfiffe der Pariser Gesellschaft. Dabei enthielte das Werk insbesondere im zweiten Akte grosse Teile, die rhythmisch geeignet seien, von Balletten begleitet zu werden, was man mit der Mehta-Fura Bollywood Einlage verdeutlichen wolle.

Immer wieder nimmt Padrissa bezug auf Wieland Wagner und auf Hans-Peter Lehmann, der mit ihm seine Arbeit begonnen habe, die er jetzt mit La Fura dels Baus fortsetze.

Eine 10 m hohe roboterhafte Hand dominiert das Bühnenbild (Roland Olbeter). Sie nimmt im Verlauf der Oper unterschiedliche Formen an und übernimmt unterschiedliche Funktionen. Zu Beginn trägt die Hand die vorbestimmten Linien Tannhäusers Schicksal; eine starke Handlinienprägung weist unausweichlich zum Venusberg. Sie weist mit freundlicher Geste in Elisabeths Palast. Sie bildet den Altar, vor dem Elisabeth zu Beginn des dritten Aktes betet. Am Ende ist sie die unbeugsame Hand des Papstes, die Tannhäuser quält und letztlich zu seinem Tod führt. „Die Hand gibt, fragt, liebkost, öffnet, schliesst, vereint, verletzt, verteidigt, tötet … Die Hand begleitet das gesprochene Wort, führt Geschriebenes aus, tanzt zum Rhythmus unserer Emotionen.“

Die bewegliche Hand prägt also das Bühnenbild. Sie wird ergänzt von einer Flut von Laserinstallationen, von mechanischen Rädern im Stile Leonardo da Vincis, prächtigen Kostümen in warmen Farben, von artistischen Einlagen zu Wasser, zu Land und in der Luft. Ein wahres Feuerwerk an Bildern und Eindrücken fesselte mich im ersten Akt, während beim Einzug der Gäste für meinen Geschmack etwas zu viel Bollywood zur Schau gestellt wurde. Auch der letzte Akt schien mir überzeichnet. Elisabeths Edelstahl-Tränen fand ich übertrieben, und der Palmensprösslinge an jedem dürren Stecken waren sprossen zu zahlreich, während Woityla per Video die Massen segnete. Nachdem ich aber die Anmerkungen des Regisseurs im Programmheft gelesen hatte, ergaben sich doch etliche zusätzlichen Erkenntnisse.

Alles in allem fand ich fand die Inszenierung gut und würde sie gerne nochmal sehen, falls sich die Gelegenheit ergibt. Nicht zuletzt sondern vor allem auch wegen der ausgezeichneten Besetzung. Unter der inspirierten und inspirierenden Leitung von Zubin Mehta sang Anja Harteros eine beseelte Elisabeth, blühend in der Höhe, innig in Mittellage und Ausdruck. Robert Dean Smith sang sich scheinbar mühelos durch die Partie, immer auf Linie, in perfektem Deutsch, geradezu bewegend im zweiten und mit der nötigen dramatischen Gestaltung im letzten Akt. Dabei verliess er nie das lyrische Fundament seiner Stimme, ging an ihre Grenzen, ohne Rauhbau an ihr zu betreiben. Roman Trekel konnte mit seinem Einsatz als Wolfram von Eschenbach brillieren. Georg Zeppenfeld sang einen sonoren Landgraf. Julia Gertseva (Venus) hatte es sich wohl mit den loggionisti verdorben, sie wurde gnadenlos ausgebuht, was ich als unangemessen empfand. Die bella figura hätten sie ihr wenigstens zugute halten können.

Der gute Chor und das ausgezeichnete Scala-Orchester rundeten den guten Eindruck ab beziehungsweise waren sie Fundament des Abends.

3 Kommentare leave one →
  1. Werner permalink
    Oktober 29, 2010 21:10

    Da ich die Vorstellung am 2.4. besuchte, einfach ein paar Eindrücke von mir: Ich war schon durch die ‚Arte‘-TV-Abende animiert worden, dieses ‚Spektakel‘ einmal live erleben zu wollen. Ja, und das war es dann auch – eine Riesenspektakel, aber nicht ohne Reiz! Passt hervorragend in unsere ‚übervisualisierte‘ Zeit, kann sogar die heutigen Computer-Kids ins Operhaus locken.
    Und so kam ich den ganzen Abend aus dem Grübeln nicht mehr heraus: Welche Oper ließe sich wohl noch so darstellen bzw. vorturnen? Mozart – eher nicht, gar unmöglich! Wagner? Fast immer, aber die frühen Werke möchte ich eher nicht sehen. Puccini? etc.
    Auch Grundsatzfragen kamen wieder auf: Wieviel ‚Auge‘ veträgt das ‚Ohr‘, bzw. ab wann kann ich fast nicht mehr zuhören, weil das Visuelle fast alle Wahrnehmungskapazitäten erfordert? Da war zuviel geboten, als dass man einfach – wie bei manchen Ärgernis-Inszenierungen – einfach die Augen hätte schließen können. Und: In welchen Momenten sollte der Fokus des Publikums gerichtet sein auf a) die Bühnenhandlung b) die musikalische Handlung c) auf den ‚Licht- und Akrobatenzauber‘?
    Die Musik an diesem Abend? Sensationell! Zubin Mehtas schlafwandlerische Sicherheit und Intuition haben mich tief beeindruckt, die Sängerriege war absolut erstklassig!!!

    • Oktober 30, 2010 09:25

      Danke für Ihren Kommentar. Zubin Mehta „kann“ Tannhäuser, das durften wir in seiner Zeit in München erleben; deswegen fand ich die Kombination mit Fura dels Baus auch so spannend (neben der Sängerbesetzung). Kurzum, die ganze Produktion war attraktiv. Ich meine allerdings, daß man als Zuschauer so ein Werk ganz gut kennen sollte, um sich einem solchen Experiment auszusetzen, sonst erschlägt die Flut der Bilder, Ideen und Deutungen den Kern des Werkes.
      Viele Grüße
      rossignol

  2. Ron permalink
    September 25, 2021 15:44

    Egal, wie die Inszenierung ist (sie werden heute immer schwächer und schwächer)…
    Hauptsache, man hat einmal in seinem Leben das Glück im Zentrum der moderneren italienischen Oper, der Scala, zu sein.

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