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Oper Zürich: Otello

Oktober 24, 2011

Zwei Neuinszenierungen „Otello“ leistet sich das Opernhaus Zürich in dieser Saison. Am 20. Oktober hatte Verdis Otello Premiere. Rossinis Fassung des Mohren von Venedig folgt im nächsten Frühjahr.

Leading Team:
Musikalische Leitung Daniele Gatti / Regie Graham Vick
Set design Paul Brown / Kostüme Paul Brown / Lichtregie Jürgen Hoffmann

Besetzung am 23.Oktober 2011:
Fiorenza Cedolins (Desdemona), Judith Schmid (Emilia); Jose Cura (Otello), Thomas Hampson (Jago), Stefan Pop (Cassio), Benjamin Bernheim (Rodrigo), Pavel Daniluk (Lodovico), Tomasz Slawinski (Montano), Evgeny Sevastyanov (Ein Herold)

Otello Vorhang

Schockwellen begleiteten Otellos Heimkehr aus dem Krieg, erzeugt mittels Theater-Blitz und Bühnen-Donner und untermalt von schäumenden Orchester- und Chorstimmen. Das Haus vibrierte buchstäblich. Würde der Abend halten können, was der furiose Auftakt versprach? Er hielt.

Der Schauplatz für Graham Vicks Produktion ist ein von muslimischen Einflüssen geprägter Ort, vermutlich im Mittleren Osten. Zwar ist in den ersten beiden Akten an Requisiten kein Mangel (sowohl ein Panzer wie ein ausgebrannter PKW gehören dazu und auch an plakativen Parallelen zum gerade zu Ende gegangenen Schweizer Wahlkampf fehlte es nicht, wie ich aus Publikumsreaktionen schloß), jedoch dienten diese eher zur Um- bzw. Untermalung der Handlung. Das Interessante an der Inszenierung, das Spannende, spielte sich zwischen den Akteuren ab. Deshalb ist die Bühne folgerichtig letzten Akt leer. Graham Vick legte mit viel Gespür das innere Drama Otellos frei, dessen Minderwertigkeitsgefühl als Ausgestoßener trotz seiner Erfolge als Kriegsherr und die daraus resultierende, nicht mehr beherrschbare Eifersucht, die ihn das zerstören liess, was er am meisten zu lieben glaubte. Otello ist machtgierig, und er ist ein Mörder. Auch Jago ist machtgierig, ein hinterhältiger Karrierist, der die Schwäche Otello für seine Zwecke benutzt. Jedoch hinterfragt Otello auch nicht die Richtigkeit von Jagos Anschuldigungen. Zwar braucht er für die sinnlose Rache an Desdemona keine Rechtfertigung, Gewalt ist für ihn das übliche Mittel, ein Problem zu lösen, und so bestätigen Jagos fortgesetzte Intrigen lediglich Otellos bereits feststehenden Entschluß. Obwohl erfolgreicher Kriegsherr erfährt Otello wegen seiner Rasse keine Anerkennung, kann sich auf seinen Lorbeeren (in Zypern) nicht ausruhen, sondern wird zur weiteren Verwendung ins venezianische Hauptquartier zurückgerufen, während der blasse Cassio (Angehöriger der „richtigen“ Rasse) den Repräsentationsposten in Zypern einnimmt.
Desdemona ist eine coole, moderne Frau. Das Schicksal hat sie sich in einen Mann verlieben lassen, der nicht zu ihrer Herkunft passte. Aus Otellos Sicht: er hat sie erobert und betrachtet sie als sein Eigentum. Während Otellos Auslandseinsatz als Feldherr hielt sie ihm zuhause den Rücken frei und wird von der Bevölkerung wegen ihrer Schönheit und Menschlichkeit verehrt. Sie zerbricht an den unüberwindlich scheinenden kulturellen Unterschieden zu Otello, seinem Mißtrauen und der daraus resultierenden inneren Blockade.

Der eingangs beschriebene Gefühl, das Haus würde vibrieren, setzte sich gewissermaßen fort, ohne fühlbares Beben des Gemäuers, dafür mit einer sich kontinuierlich aufbauenden Spannung durch die orchestrale Interpretation unter Daniele Gatti. Das Orchester war nicht nur rücksichtvoller Begleiter der Sänger und der Chöre, sondern gestaltete den Abend maßgeblich, und oftmals wurden meine Augen vom Graben mehr angezogen als von der Bühne. Raffiniert fand ich den Einsatz der Bläser auf der Bühne bei der Ankunft des venezianischen Gesandten. Ganz vorzüglich fand ich außerdem den Umgang des Regisseurs mit den Chören, die neben den bekannten „Knallern“ besonders in dem beinahe unbegleitet klingenden Chorstück im Garten des zweiten Akten (hier im Sand unter drei Palmen) begeisterten .

Peter Seiffert, ursprünglich für die Titelrolle vorgesehen (und Anlaß meines Kartenkaufes in Zürich), hatte die Premiere und (vorerst) ein paar Folgevorstellungen abgesagt. Für ihn sprang José Cura ein, der für eine weitere Rolle derzeit in Zürich engagiert ist. Klang er zunächst etwas gepresst, so war ich im Verlauf des Abends zunehmend angetan, vor allem als er die vokale Protzerei – für Otello vielleicht sogar adäquat – etwas zugunsten der vokalen Gestaltung ablegte. Ab Ende eine überzeugende Vorstellung. Mit dem Schurken Jago würde ich Thomas Hampson erstmal nicht assoziieren. Doch auch das war zu machen; die Regie verpasste Jago ein schickes Uniform Outfit und selbst Felduniform und Stiefel saßen perfekt wie ein Safarianzug. Stimmlich traf er den Perfiden gut. Großer Beifall für ihn. Bemerkenswert auch Stefan Pop, der den etwas einfältigen Cassio vokal und darstellerisch treffend traf.

Fiorenza Cedolins ist ja nicht gerade niemand in der Szene, dennoch war ich überrascht von ihrem Auftritt. Nicht nur hatte sie die szenische Darstellung verinnerlicht – Desdemona als moderne, äußerlich kühl wirkende, selbstbestimmte Frau -, stimmlich traf sie genau den (meinen) Nerv, den nämlich, der mich Otello am liebsten selbst umbringen liesse, damit er endlich aufhöre, die Frau zu quälen. Das übernahm er dann doch selbst, nachdem er Desdemona mit ihrem Brautschleier erstickt hatte.

Bei einer Neuinszenierung gehört es sich, alle Beteiligten zu erwähnen, was ich gerne tue. Auch die nicht namentlich Genannten waren Klasse und trugen bei zu einem wunderbaren Opernabend.

Weitere Vorstellungen: Opernhaus Zürich


Daniele Gatti und der Applaus für das Orchester der Oper Zürich

Der böse, chice Jago, Thomas Hampson


Otello José Cura

Desdemona Fiorenza Cedolins

Schlussapplaus

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