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Plácido Domingo: Simon Boccanegra

Oktober 28, 2009

Placidone als Simone? Ist dieser Mann unersättlich, unermüdlich, unverfroren, unerschrocken, unverlierbar oder unverbesserlich?

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Als Domingo-Bewunderin muss man natürlich seinen Eintritt in ein weiteres Karrierestadium erleben. Ich begab mich also nach Berlin; zum Premierenbesuch reichte es nicht, zur zweiten Vorstellung aber wohl. Die Reise hat sich gelohnt. Durch die Medienberichte vorgewarnt, waren meine ohnehin niedrigen Erwartungen an die Inszenierung gleich Null, allerdings sage ich voraus, dass die prunkvollen Gewänder den Geschmack des Mailänder und des Met Publikums sicher treffen werden. Und peitschende Meeresgischt kommt immer gut, wenn’s um Leben oder Tod geht. So viel der Worte für diesen Bilderkrampf.

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Schon bei seinem Auftritt als junger Simone im Prolog liess Plácido Domingo keinen Zweifel daran aufkommen, dass er diesen Ausflug ins Baritonfach ernst nimmt. Das war alles perfekt studiert und stimmlich fundiert, und das unverkennbare Timbre blieb trotzdem erhalten. Ich war wirklich verblüfft. Grosse Vergleichmöglichkeiten habe ich nicht, weil ich nicht viele Simone Boccanegra in meinem Leben auf der Bühne gesehen habe, (einer mit Cappuccilli war allerdings darunter), es hat mich keiner so berührt wie Domingo, darstellerisch wie stimmlich.

Die grosse Szene „Plebe, patrizi, popolo“, Simones (Verdis) Bekenntnis zu einem einigen Italien, mit dem sich anschliessenden herrlichen Sextett ist für mich die schönste Szene, die Verdi geschrieben hat. Sie hat mich in Berlin hingerissen, nicht nur weil Plácido Domingo die Botschaft des Dogen fundiert und stimmgewaltig und so wenig aufgesetzt gebracht hat, sondern weil sich darin die ausgewogene Klasse aller am gestrigen Abend beteiligten Sänger ausdrückte.

Über Anja Harteros als Sängerdarstellerin muss ich nicht viel erzählen. Selbst wenn ihr an einem Abend kein ganz so makelloser oder strahlender Einstieg gelingt, verbreitet sie Sopranglück. Um die Riege der tiefen Berliner Männerstimmen, bestehend aus dem samtig singenden Kwangchul Youn (Fiesco), Hanno Müller-Brachmann (Paolo) und Alexander Vinogradov (Pietro) ist die Staatsoper zu beneiden. Das Schöne an dem Abend war, dass jeder mitwirkende Sänger optimal zur Geltung kam. In Hochform und mit nicht unangenehmem italienischen Duktus sang Fabio Sartori den Gabriele Adorno, und erhielt den einzigen donnernden Szenenapplaus des Abends. Weitere Unterbrechungen wusste Daniel Barenboim geschickt zu unterbinden; sie wären der tragischen Musik auch nicht angemessen gewesen.

Daniele Barenboim dirigiert Verdi – auch so etwas, das nicht ins Klischee passt. Er kann auch das, und die Staatskapelle konnte es auch. Mir war es weder zu laut noch zu langsam, mit dem für mich gerade richtigen Mass an Emotion.

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Am Ende lange Ovationen des überwältigten Publikums. Nicht auszudenken, was hätte sein können, wenn das Budget auch noch für einen richtigen Regisseur gereicht hätte!

Bilder von der Seite der Staatsoper Berlin

6 Kommentare leave one →
  1. Desdemona permalink
    Oktober 29, 2009 09:19

    Vielen Dank für diesen schönen Bericht! Ich stehe in den „Startlöchern“ und werde morgen in Berlin sein und den Simone sehen!
    Alles, was ich bisher gelesen habe, macht mich wahnsinnig neugierig und gespannt!
    Melde mich noch mal nach meinem Erlebnis!

  2. Oktober 29, 2009 17:01

    Ich würde mich sehr freuen, einen weiteren Aufführungsbericht zu lesen und wünsche einen unvergesslichen Opernabend in Berlin.

  3. Desdemona permalink
    November 2, 2009 20:50

    Wie versprochen, melde ich mich aus Berlin zurück. Auch drei Tage nach der Vorstellung schwebe ich noch über den Wolken! Unvergesslich, Rossignol, wird er bleiben! Ich bin seit vielen Jahren Domingo-Bewunderin und unendlich dankbar, dass ich ihn eine so lange Zeit begleiten und dieses Erlebnis teilen durfte.
    Ich kann nahezu jeden Kritikpunkt, den ich in den letzten Tagen an dieser Inszenierung gelesen habe, ein stückweit nachvollziehen und habe mich auch während der Vorstellung gefragt: Was hätte ein wohl ein Zeffirelli rund um Plácido gebaut? Aber schlecht fand ich die Inszenierung deshalb nicht. Sie hält das Stück in der Zeit, wo es spielt, und das war mir schon sehr, sehr wichtig. Sie versucht nicht zu politisieren, zu aktualisieren, sondern läßt sich die Geschichte entfalten. Zugegeben, nicht alle Sänger konnten mit der darstellerischen Freiheit umgehen und hätten besserer Lenkung bedurft. Vielleicht bessert man hier für die Scala nach.
    Für Plácido war ich froh, dass man ihm freie Hand gelassen hat! Er taucht so tief in die Emotionen Simon Boccanegras ein, ist so echt, so direkt, trifft mitten ins Herz – mit Stimme und Spiel!
    Es wurde mehrfach kritisiert, dass man ihm den Tenor auch in dieser Partie anhört, dass es das gleiche Timbre ist. Ja, was um alles in der Welt, soll es denn sonst sein? Es ist die selbe Stimme – und, dem Himmel sei Dank, das selbe Timbre! Nur eben nicht so hoch, und das schadet überhaupt nichts. Ich kenne ebenfalls nicht viele Simon Boccanegra Aufführungen und dies war meine erste im Theater. Vergleiche ich aber die Stimmlage und -färbung beispielsweise von Vladimir Chernov, von dem ich eine DVD habe, so ist sie gar nicht so viel dunkler, tiefer als Domingos. Ich habe beide zusammen mehrfach in „Otello“ live erlebt – und immer wieder den Eindruck gehabt, Chernov’s Bariton liegt für den Jago zu hoch, die Farben der Stimmen von Domingo und Chernov sind sich – besonders im Schlußduett des 2. Aktes – einfach zu nah. Wenn Chernov also einen auf dieser DVD hervorragenden Simone gibt, warum dann nicht auch Plácido?
    Mich hat er jedenfalls zutiefst berührt, bei seinem Tod hatte ich einmal mehr sehr feuchte Augen, und der Jubel nach der Vorstellung spricht für sich.
    Anja Harteros war in meiner Aufführung eine sehr berührende, gar nicht kühle, liebreizende Amelia mit wundervoller warmer Stimme. Ich habe sie hier zum ersten Mal gehört, hoffe aber sehr, es wird nicht das letzte Mal sein. Und nach der Vorstellung hat sie sich darüber hinaus als sehr liebenswerte natürliche Person beim Autogrammegeben entpuppt.
    Die Bässe… ja, ja, die Bässe, alle drei haben hervorragend gesungen! Es sind wunderschöne Stimmen – aber sie brauchen ganz dringend eine Hand, die lenkt. Was mich ein wenig verwirrt hat, ist die Tatsache, dass doch alle Personen zwischen dem Prolog und dem 1. Akt um 25 Jahre älter werden – gesehen hat man das aber nur bei Simone Boccanegra. Dabei hätte Fiesco ja nun im Prolog schon deutlich älter sein müssen als Simone, umso mehr in den nachfolgenden Akten…
    Fabio Sartori… Als Domingo-Verehrerin hätte ich natürlich am liebsten Plácdio in beiden Partien gehabt – geht aber nicht. Und da war ich akustisch mit Fabio Sartori durchaus glücklich. Er hat mit Begeisterung und Leidenschaft gesungen, es gab an keiner Stelle Grund, um die Spitzentöne zu bangen, manchmal wäre etwas weniger laut allerdings mehr Gefühl gewesen. Ich hätte mir nur, na ja, eine etwas attraktivere Erscheinung gewünscht…
    Und Daniel Barenboim? Nein, mir war nichts zu laut, nichts zu langsam, nichts zu gewaltig, nichts zu zart. Einfach richtig! Es war ein wundervoller Klangteppich, den er mit der Staatskapelle für uns ausgebreitet hat – Verdi zum Schwelgen! Für mich genau richtig!

  4. November 4, 2009 08:46

    Ihren schönen Bericht zu lesen war wie noch einmal da gewesen zu sein. Danke dafür, Desdemona.

  5. Til permalink
    Januar 27, 2010 00:11

    Ich kann nur sagen: es war ein wunderbares Erlebnis! Herr Domingo ist auch aks Bariton ein absolutzes Erlebnis! Kann ich nur empfehlen! Vielen Dank für diesen wunderbaren Bericht!

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