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Bayerische Staatsoper 15. Januar 2012 – Don Carlo

Januar 16, 2012

Schlußapplaus Don Carlo

Mitgenommen hat mich die gestrige Don Carlo Vorstellung, und ich war auch ganz überdreht danach. Eine spontane Rückschau auf den Abend wäre zu euphorisch ausgefallen. Fällt sie auch jetzt noch. Dazu waren die aufgebotenen Sänger zu professionell, das zentrale Sängertrio Weltklasse. Und so entspann sich die Handlung kammerspielartig innerhalb des Dreiecks Don Carlo, Elisabeth und Philipp, deren Interpreten gleichermaßen mit großen Stimmen wie mit Darstellungstalent gesegnet sind. „Gesegnet“ mag ich gar nicht schreiben angesichts des Schreckens, den die Darstellung der Inquisition verbreitete, in deren Umklammerung Don Carlo spielt. In Jürgen Roses Inszenierung ist sie immer präsent in Gestalt eines übergroßen Christus Kreuzes und der schachtelförmig einengenden Bühne.

Wie schon bei den Festspielen 2010 sang René Pape Philipp II. Seine Wandlungsfähigkeit ist frappierend. Erst kürzlich sah ich ihn kokett an der Met als Méphistofélès ein Tänzchen hinlegen, und jetzt mimt er den verbitterten König und kann kaum gehen. Mit seinem markanten Bass und dramatischem Sinn trifft er die Brutalität des Königs in den Zwängen des Amtes ebenso wie die Verbitterung des Ehemannes und letztlich auch die Einsicht und Reue des Vaters. Für mich keine Frage, seine Personalität dominiert die Szene.

Seltsamer Zufall, daß ich Jonas Kaufmann an der Met ebenfalls an der Seite René Papes erlebte. Don Carlo passt ihm besser als Faust – den er ausgezeichnet sang, siehe meinen früheren Bericht. Carlo hingegen passt ihm wie die Faust aufs Auge, salopp gesagt. In Kaufmanns Darstellung und Gesang spiegelte sich die Gefühlswelt des Infanten; in der Beziehung zu Elisabeth Liebe, Zweifel und Sehnsucht, in der Beziehung zum Vater Sehnsucht nach Liebe Angst und Zorn, zum Freund Rodrigo Respekt, Freundschaft und Schmerz. Leicht sprang die Stimme an, ohne übermäßigen, hörbaren Krafteinsatz füllte sie den Raum des Nationaltheaters und begeisterte nicht nur die weiblichen Kaufmann Fans.

Anja Harteros konnte ich längere Zeit nicht auf der Bühne erleben. Sie ist sehr schmal geworden, aber immer eine alleine schon durch ihre Größe imposante Bühnenerscheinung. Ihre Stimme hat noch an Volumen gewonnen, beinhaltet dennoch eine unendliche Palette von Zwischentönen; als Beispiel sei nur das unvergleichliche Piano im Duett mit Carlo die letzten Akt genannt. Eine Königin auf der Bühne, die uns in München oft und lange erhalten bleiben möge. Mein absoluter Nummer Eins Sopran.

Großes Theater also zwischen diesen drei Stimmgiganten und Sängerdarstellern, mit dem die übrige Besetzung nicht ganz mithalten konnte. Anna Smirnova (Eboli) wie auch Boaz Daniel (Posa) kannte ich schon aus der Berliner Inszenierung des Don Carlo im letzten Herbst. Sie bestätigten beide meine damalige Einschätzung. Anna Smirnova hat einen voluminösen Mezzo, nicht ganz so beweglich wie es wünschenswert wäre. Darstellerisch ist sie etwas muttihaft. Ähnlich hölzern bewegt sich Boaz Daniel, als Posa eingesprungen für Mariusz Kwieczien, der mittlerweile auch die restlichen Vorstellungen dieser Serie krankheitsbedingt abgesagt hat. Stimmlich boten beide gute Leistungen. Noch immer beeindruckt bin ich von Steven Humes‘ markantem Mönch und auch gegen Eric Halfvarsons verschlagenem Großinquisitor gibt es keine Einwände. Wunderschön homogene Tongebung zeichnete die flandrischen Deputierten aus, die dafür sofort in Fesseln gelegt wurden. Strafe für zu schönes Singen.

Der Chor, letztens von mir hochgelobt, hatte wieder einige Wackler, die ich dem Chor nicht zuschreiben möchte. Asher Fischs Dirigat war solide, nicht ganz so souverän wie es wünschenswert gewesen wäre: Den üppigen Verdi-Klang des Staatsorchesters beeinträchtigte dies nicht, ließ aber doch einige Koordinationsprobleme hörbar werden. Kleine Schlieren in der Don Carlo Wundertüte.

Vorhang nach Autodafé

9 Kommentare leave one →
  1. Januar 16, 2012 16:49

    Thank you for this review! I can’t wait for the livestream and am praying that it will work on my computer! I enjoyed your comparison with Faust in NYC which I also saw, and am very much looking forward to JK’s Carlo to hear how much better it suits his voice.

  2. Januar 17, 2012 22:50

    Hi Ivis,
    Glad you liked my little review. Not complete at all, because it’s no new production and I’ve seen it already several times. It’s because of the great cast. I’m sure, we’ll get a stable connection and high quality livestream on Sunday. People all over the world looking forward to it. Let me know, if you enjoyed.
    I visited your blog the other day. Write more. It’s interesting read.
    Thanks,
    rossignol

  3. Januar 18, 2012 13:11

    Has the SZ ever published a 100% positive review of Jonas Kaufmann? Or do they just enjoy being contrary?

  4. Januar 18, 2012 13:38

    PS. Thank you for the kind words about my blog. I will try to post more often!

  5. Gaulimauli permalink
    Januar 24, 2012 00:54

    Re-read your Commentary after watching Sunday’s livestream and am impressed how fitting your assessment of the performance was. For me, Anja Harteros was a revelation,she really had me going. As for # 1 soprano, well maybe. Damrau and Netrebko are not exactly chopped liver. Kudos to Bayerische Staatsoper for putting on a hell of a show.

    • Januar 31, 2012 00:31

      Hi Gaulimauli,
      Thanks for commenting. I know Diana Damrau also very well. She started more or less her career at the same time as Anja Harteros, both with many performances at Bayerische Staatsoper. Voice types are different of course, but both are magnificant singers as is Anna Netrebko as well. Anja Harteros however covers repertoire, that I like most personally, and that’s why I call her my soprano #1. Her role choice is wise, everything I heard from her, was completely fitting to her voice type and stage appearance. I think she’s more stage character than a marketing object. A big plus for her artistic career.

      rossignol

  6. Bärbl Wagner permalink
    Januar 30, 2012 16:10

    Ich hatte das Glück, für alle 5 Carlosvorstellungen eine Karte zu bekommen.Und es waren grandiose Aufführungen. Vor allem das Dreigestirn: Harteros, Kaufmann, Pape – Sänger von solchem Weltklasseformat erleben zu können “ O namenlose Freude“!
    Und Harteros und Kaufmann waren stimmlich, darstellerisch und optisch ein Hochgenuß. Das sind „Sternstunden“ die man selten erlebt und die man nicht so schnell vergisst. Das ist Operngenuß pur – auch emotional!!

    Liebe Grüße, Bärbl

  7. Januar 30, 2012 23:53

    Hallo Bärbl,
    die letzte Vorstellung gestern habe ich auch noch erleben können. Wer weiß, wann uns so ein Fest mal wieder vergönnt sein wird. Es war einfach wunderbar. Es waren aber nicht nur die Stimmen, das fand ich das Gute, sondern wie sich die Sänger auch darstellerisch einbrachten und wie die Inszenierung dadurch belebt wurde.
    Bis bald mal wieder. Viele Grüße.
    rossignol

  8. Christel Mangold permalink
    Februar 1, 2012 08:57

    Habe auch zwei der Don Carlo Vorstellungen gesehen ,absolut Spitze.Werde noch

    lange davon zehren.Allerdings meine ich das Jonas in Faust genau so Spitze War. Bedaure sehr das ich ihn in wien nicht sehen kann.

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