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BSO am 4. April: La Bohème

April 5, 2009

Zahllose Rodolfos und Mimis haben schon in den Kulissen der Münchener Uraltinszenierung geschluchzt. Heute erlebte ich Piotr Beczala zum ersten Mal als Rodolfo, fast eine Garantie für das Ausbleiben tenoraler Schluchzer, wenn auch keine für solche im Publikum. Das Unangenehme zuerst: Constantinos Carydis, der den Abend leitete, verschleppte den ersten Akt derart, dass der Melodienfluss total verlorenging. Das beeinträchtigte nach meinem Eindruck auch die Sänger. Die weiteren Akte gelangen ihm zwar besser, den Jubel um den Dirigenten am Ende konnte ich nicht ganz nachvollziehen.

Piotr Bezcala sang also Rodolfo. Für mein Gefühl ist seine Stimme im Zenith ihrer derzeitigen Entwicklungsphase. Beczalas immer wieder beschriebenen Qualitäten wie Phrasierung, Legato, Piani, Diktion, Natürlichkeit, warmes Timbre, Höhensicherheit – alles scheint so selbstverständlich und sicher abrufbar, eine Sicherheit, die ihm erlaubt, die darstellerische Komponente stark zu gewichten. Rodolfo, Alfredo, Werther, Faust, Lenski, Duca, Riccardo – alles Rollen, die zu Stimme und Person sehr gut passen. Ich bin immer wieder begeistert von diesem sympathischen Sänger, dessen Erdung ihn in seinen Rollen so glaubhaft macht.

Als Mimi hatten wir heute Maija Kovalevska, die in dieser Rolle vor ein paar Tagen ihr Debüt im Münchner Haus gab. Eine Mimi mit sehr guten stimmlichen Qualitäten, aber ohne charakteristisches Timbre wie ich meine, und noch fehlte mir ein bisschen das Aufblühen der Stimme in der Höhe. Dafür war ihr Vortrag sehr intonationssicher, und ihre Sterbeszene war seit langem die anrührendste, die ich im Nationaltheater erleben durfte. An der Stelle hatte Carydis auch die richtige Hand für das Orchester.

Die drei von der Tankstelle Freunde vom Montmartre waren mit den üblichen Verdächtigen besetzt. Wiederum aussergewöhnlich schön wurde die Mantelarie von Christian Van Horn gesungen, Christian Rieger gab den zuverlässigen und spielfreudigen Schaunard. Grossartig sang einmal mehr Nikolay Borchev mit seinem charakteristischen Timbre, wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob er als Marcello wirklich im richtigen Fach besetzt ist.
Jessica Muirhead bleibt ihm Rahmen ihrer stimmlichen Möglichkeiten, macht alles richtig, singt und spielt gut, kann sich aber in diesem hochklassigen Ensemble als Musetta nicht recht behaupten. Mich wundert, dass sie auch bei den Vorstellungen mit der hochpreisigen Anna Netrebko im Mai als Musetta besetzt ist. Den meisten Besuchern wird aber ohnehin nicht auffallen, dass das Spektaktel möglicherweise nicht mehr wird als eine gute Repertoire-Aufführung. So wie das heute eine war.

Großer kurzer Jubel für die Beteiligten. Draussen warteten drei Reisebusse. Das erklärt das etwas eigenartige heutige Publikum. Was mich mal wieder zu einem ebenso eigenartigen Appell animiert.

Liebe Leute, natürlich ist die Oper etwas ganz Tolles, unsere Münch(e)ner Oper ist sogar megatoll. Hier könnt ihr euere Klamotten ausführen, Bitter Lemon, Bellini, Prosecco, Sekt-Orange oder Bier trinken. Ein paar Regeln gibt es allerdings hier, auch wenn nach der Entmachtung des Einlasspersonals alles etwas aus dem Ruder läuft. Wir setzen uns nicht nur nicht auf die Programmverkaufstischchen, sondern halten auch die Klappe, sobald der Dirigent das Holzscheitl in die rechte Hand nimmt. Und hier läuft man auch nicht mehr im Rang herum auf der Suche nach einem besseren Platz als dem eigenen, wenn die Vorstellung schon angefangen hat. Wenn ihr vorher nur 10 Euro für einen Platz bereit wart auszugeben, solltet ihr euch mit dem gekauften Platz begnügen. Es sei denn, ihr wart schnell genug ehe der Dirigent das Startsignal gibt. Wer sich zu früh bewegt trägt selbstverständlich das Risiko eventuell in letzter Minute ankommender rechtmässiger Platzinhaber. Sitzplätze kosten nun mal ein paar Euro mehr. Wenn ihr einmal im Jahr nach München in die Oper fahrt, solltet ihr schon 25-30 Euro für eine Karte anlegen. Das meine ich, der man heute den Anfang des ersten Aktes durch so einen Scheiss total versaut hat.
Danke. Eure rossignol.

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