Salzburger Festspiele 2010: Norma
Entzugserscheinungen waren nicht der Grund, warum ich sofort zugriff, als vor ein paar Tagen unerwartet wieder ein paar Karten für die konzertante Norma im Grossen Festspielhaus erhältlich waren. Es war reine Neugierde. Schon immer war ich der Meinung, daß man der Oper Norma nicht gerecht wird, wenn nur die Titelrolle herausragend besetzt ist. Wie oft haben wir in München erlebt, wie die hochverehrte und bewunderte Edita Gruberova einen durchschnittlichen Repertoireabend durch ihre große Könnerschaft umgedreht und veredelt hat.
In Salzburg gab es Norma konzertant mit einer beachtlichen Besetzung neben Edita Gruberova. Joyce DiDonato hatte ich noch nie zuvor auf der Bühne oder im Konzert erlebt und kann nur in die allfälligen Lobpreisungen einstimmen. Sie hat eine warme, flutende, sehr kontrollierte Stimme, vorzügliches messa-di-voce, eine leicht ansprechende Höhe ohne nach verkapptem Sopran zu klingen, und ist stimmlich eine ebenbürtige Konkurrentin zu Edita Gruberovas Norma, was die Duette zwischen den beiden Frauen zum großen Genuss werden liess. In ihrem weblog nennt Joyce DiDonato Frau Gruberova „legendary“. Noch ein paar Dekaden, dann wird man sehen, ob auch aus ihr eine Legende geworden sein wird.
Marcello Giordani debütierte ebenfalls vor meinen Augen und Ohren. Gegen seinen Pollione habe ich grundsätzlich nichts einwenden. Angenehm wäre es aber gewesen, wenn er wenigstens die Seiten seiner Partitur hätte leise umblättern können, wenn es denn schon nicht ohne Krücke geht. Stimmlich passte er zum hohen Niveau des Abends, hat auch ein schönes Timbre in der Mittellage, die ganz hohen Töne klangen allerdings ein bisschen nach Fremdkörper. Ebenfalls vom Blatt sang Ferruccio Furlanetto, zu sehr orgelnd für meinen Geschmack, wenn es laut wurde, aber doch auch zu kultivierterem Gesang fähig, wie der letzte Akt bewies.
In der Rolle von Clotilde war Ezgi Kutlu zu hören. Luciano Botelho sang Flavio. Unauffällig blieb die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.
Friedrich Haider war den Sängerinnen aufmerksamer Begleiter, deckte dafür die Männer gerne mal zu (Danke dafür) und spornte die Camerata Salzburg zur Höchstleistung im vermutlich ungewohnten Bellini-Minenfeld an. Was herauskam, war recht beachtlich.
Nach 19 Jahren Abstinenz kehrte Edita Gruberova zurück zu den Salzburger Festspielen, wo sie vor 36 Jahren als Donna Anna debütierte, wie in den Zeitungen nachzulesen war. Ihr Auftritt demonstrierte eindrucksvoll, daß sich Kunst von Können ableitet und weniger von Medienmanipulation. Frau Gruberova sang selbstverständlich auswendig und gestaltete die Rolle der Norma gestisch. Sie sah toll aus. Die Stimme klingt frisch und beweglich wie eh und je, ein Wunder. Klangkaskaden perlen nicht nur zu Dekorationszwecken sondern beinhalten Ausdruck. Pianokultur und messa-di-voce sind unvergleichlich. Dazu kommt ein gewisser Mut in einer konzertanten Aufführung zur Emotion, auch wenn der Ton dann nicht mehr ganz so „schön“ klingt. Eine vorbildhafte Frau in einer vorbildhaften Aufführung. Standing ovations am Ende für die Primadonna.
Davor gab es orkanartige Beifallsstürme vor allem für Joyce DiDonato, aber auch Ferrucio Furlanetto, Marcello Giordani, Friedrich Haider und die übrigen Beteiligten durften sich über großen Erfolg freuen.