Festspiele: Lucrezia Borgia
Hätte Maffio Orsini seine Ballade nicht wie in der Premiere auf dem Stuhl stehend singen sollen? Das hätte sich optisch bestimmt gut gemacht auf der DVD, für die man die gestrige Vorstellung der Lucrezia Borgia aufgenommen hat. Gestern sang Alice Coote die Orsini-Ballade überwiegend an der Rampe, eigentlich gar nicht nötig, denn ihre Stimme war gestern so präsent und flexibel, schlank und klangschön, dass sie sich auch vom Stuhl herunter spielend hätte durchsetzen können. So gut habe ich sie bei ihren bisherigen Auftritten als Orsini nicht erlebt. Nachdem der rote Teppich des Gala-Vortages auf dem Aufgang zum Nationaltheater abgenommen war, brachte wenigstens die zweite Vorstellung der Münchener Opernfestspiele den ersehnten Glanz auf die sparsamst dekorierte Bühne der Christof Loy Inszenierung.
Edita Gruberovas beständige herausragende berufliche Leistung kann man nur unter der Verwendung von Superlativen angemessen zu beschreiben. Als sie gestern als Lucrezia die Bühne betrat freute ich mich über ihr blendendes Aussehen. Wie sie den jugendlichen Klang und die Beweglichkeit ihrer wunderbaren Stimme bewahrt grenzt für mich ohnehin an ein Wunder. Ihre Durchdringung der Rolle der Lucrezia wie überhaupt die Annäherung an ihre Rollen der letzten Jahre in München sind beispielhaft, ich denke, dass dahinter eine enorme Disziplin und absolute Leidenschaft für den Beruf stecken muss. Vom ersten Moment ihres gestrigen Auftrittes war sie in Topform, dennoch konnte sie mit der Stimme die steigende Spannung der Handlung und der Dramatik der Musik bis in die beiden großen Ausbrüche am Ende nachzeichnen. Edita Gruberova zeigte das volle Programm, zärtlich weiche Melodien, leuchtende oder scharfe Spitzentöne je nach Situation, frappierend langen Atem nach ihrer speziellen Art Luft zu holen, ihr berühmtes messa di voce, Koloraturen zum Niederknien. All diese Kunstfertigkeiten dienen der Gestaltung der Figur, und das macht das Besondere aus an einem Abend mit Edita Gruberova.
Über die stimmlichen Qualitäten Pavol Bresliks habe ich mich schon mehrfach auslassen dürfen. Ich halte ihn für einen der gegenwärtig vielversprechendsten Tenöre. Der Gennaro liegt ihm buchstäblich in der Kehle. Seine jungenhaft leuchtende Stimme, die keine Höhenprobleme und keine Intonationstrübung zeigte, dazu über ein ganz charakteristisches Timbre verfügt, begeisterte mich einmal mehr. Die Fähigkeit, gut zu phrasieren und sein Schauspieltalent taten das Übrige zu einer perfekten Vorstellung.
Franco Vassallo in der wichtigen Rolle des Don Alfonso stand seinen Kollegen nicht nach, war im Drama ein adäquater Partner seiner Gattin Lucrezia und stimmlich eine wohltönende Bank.
Wenn auch durch Einführung der Übertitelungen die Textverständlichkeit scheinbar an Bedeutung verliert, finde ich den Genussgewinn bei guter Diktion beträchtlich, nicht nur wenn man die betreffende Oper etwas besser kennt und vielleicht sogar die Originalsprache etwas versteht. Über die Sänger des gestrigen Abends kann man auch diesbezüglich nicht Klagen.
Es ist zwar ungerecht, die übrigen Beteiligten pauschal zu würdigen, denn das Gelingen eines tollen Opernabends wie des gestrigen braucht jeden Mitwirkenden. Bertrand de Billy und das Bayerische Staatsorchester taten das ihre. Die Stars des Abends allerdings standen gestern auf der Bühne.